Das Thema Grenzen ist im Umgang mit Kindern immer präsent. Es taucht in Form von verschiedenen Fragen auf:

  • Muss ich bewusst Grenzen setzen?
  • Wie lernt mein Kind Grenzen kennen ohne dass ich Macht ausübe?
  • Wie wahre ich meine Grenzen?

Eine sehr spannende wurde mir unlängst in einer Facebook-Gruppe gestellt.
„Wie kann ich auch einmal Fünf gerade sein lassen, das Ganze etwas lockerer sehen und wo sind Grenzen angesagt?“

Lass mal fünf gerade sein!

Danke für diesen wirklich tollen Impuls. Es ist ja manchmal nicht so leicht, sich auf dem schmalen Grat zwischen Konsequenz und Lockerheit zu bewegen. Bist du zu konsequent, dann wirkst du schnell rigide, also starr und unbeweglich. Bist du zu locker, dann haben weder du noch dein Kind Halt.
Ziel ist es sich auf diesem schmalen Grat flexibel zu bewegen und dadurch anpassungsfähig zu sein. Situationselastisch ist so ein schönes neumodisches Wort dafür.

Lass mal fünf gerade sein!
Frau vor gelbem Hintergrund hat die Augen geschlossen und die Finger beider hände in Mudrastellung

Wo sind Grenzen und damit Konsequenz gefragt?

Ich glaube, es gibt nur zwei Dinge, wo du wirklich auf Grenzen und Konsequenz achten solltest.

Alles, was lebensbedrohlich und gefährlich ist

Na klar, wirst du jetzt sagen!
Leider nein. Aus meiner Erfahrung weiß ich, dass es Eltern gibt, die sich auch in diesen Situationen mit einem Nein oder einem absoluten Verbot schwer tun.

Ich gebe dir ein Beispiel

Als ich noch Eltern-Kind-Gruppen geleitet habe, habe ich natürlich auch Fragen von Eltern beantwortet und Elternberatungen gemacht.
Eines Tages kam eine Mama auf mich zu und meinte verzweifelt: „Ich weiß nicht, was ich machen soll, meine kleine Tochter klettert so gerne auf den Drehstuhl meines Mannes.“

Im Gespräch stellte sich heraus, dass sie das sehr beunruhigt, weil ihre Tochter motorisch nicht sehr geschickt sei und das doch immer eine gefährliche Situation ist. Ich kannte die Tochter und konnte der Mutter zwar nicht hinsichtlich der motorischen Fähigkeiten zustimmen, aber die Tochter war gerade mal 16 Monate alt. Somit schlug ich ihr vor, ein klares „Nein, das darfst du nicht.“, auszusprechen.
Ihre Antwort: „Aber sie macht es ja so gerne.“

Sie ließ die Tochter also gewähren und war wie eine Furie hinter ihr her, um einen etwaigen Sturz abzufangen.

Das hatte zwei Effekte. Die Mutter war hochgradig nervös, die Tochter fand es lustig und betrachtete es als Spiel und dadurch wurde sie noch wilder und die Situation wurde wirklich gefährlich. Die Mutter hatte in dem Versuch das Bedürfnis der Tochter zu erfüllen darauf vergessen Leitlinien vorzugeben. Diese Leitlinien bedeuten einerseits eine Einschränkung für die Kinder. Andererseits geben sie aber auch Sicherhet.

Mit einem Extrembeispiel konnte ich diese Mutter dazu bringen ihrem Gefühl zu vertrauen und ein Verbot auszusprechen. Ich habe sie einfach gesagt, dass sie ihr Kind ja auch beim Überqueren der Straße an der Hand nimmt, um es zu schützen.

Dieser Punkt betrifft natürlich auch alle Situationen, die für andere Menschen gefährlich werden könnten.

Handle nicht gegen deine Werte

Ein zweiter wichtiger Punkt, wo du nicht von deinen Regeln abweichen solltest sind deine Grundwerte. Egal, was du in den diversen Erziehungsratgebern liest, wenn etwas gegen deine Grundwerte verstößt, dann wirst du es nicht gut vertreten können. In diesem Fall ist es ganz egal, ob es sich um eine Regel handelt, die du aufstellst, oder eine, die du trotz deiner inneren Überzeugung übertrittst.

Du wirst unsicher sein und dich gespalten fühlen. Genau diese Unsicherheit wird dein Kind spüren und deshalb austesten, wie ernst du es meinst. Denn Kinder brauchen und suchen Sicherheit und Orientierung. Sie spüren genau, wenn Eltern nicht voll und ganz hinter dem stehen, was sie sagen.

Sei dir bewusst, dass die Werte ein weites Feld sind. Es gibt viele Dinge, die dir wirklich wichtig sein können.

Hier nur einige Beispiele

  • Manieren und Benehmen
  • Gesunde Ernährung
  • Gewaltlosigkeit
  • Gemeinsame Mahlzeiten

Die Ausnahmen

Es wäre sehr einfach, wenn ich sagen würde, alles andere ist verhandelbar. Auf Vieles trifft das jedoch zu.

Schließlich gibt es noch Grenzbereiche. Und genau diese Grenzbereiche verunsichern dich als Mutter vielleicht. Und genau in diesen Grenzbereichen sind die Ausnahmen oft angebracht. Hier gilt: Lass mal fünf gerade sein!

Kinder haben eine eigene Persönlichkeit

An dieser Stelle lege ich dir dringend ans Herz, deine eigenen Werte zu überdenken. Wohlgemerkt zu überdenken, nicht zu verleugnen oder über Bord zu werfen.

Stell dir folgende Situation vor:

Du bist überzeugte Pazifistin. Natürlich haben deine Kinder weder Kriegsspielzeug noch Spielzeugwaffen. Plötzlich bemerkst du wie dein 5-jähriger Sohn mit einer Banane durch die Wohnung läuft und wie wild um sich ballert. Natürlich bist du entsetzt und versuchst ihn davon abzuhalten. Er macht das allerdings immer wieder und so kommt es laufend zu Konflikten und zu Streit.

Diese Situation geht komplett gegen deine eigenen Werte. Trotzdem rate ich dir hier, erst einmal einen Schritt zurückzusteigen.

Aus einem ganz einfachen Grund: Das ist ein Entwicklungsschritt, den viele Kinder machen. Zugegebenermaßen in unterschiedlichen Ausprägungen. Vor allem Jungs in diesem Alter wollen ihre Kräfte messen. Es ist die Zeit, wo sie die Rangordnungen abstecken und feststellen, wer der stärkere ist. Im Kindergarten kommt es oft zu „Bandenbildung“ und es wird um die Führungsposition gekämpft.

Du siehst schon, was hinter diesem Handeln steckt. Dein Kind will seinen Platz in der Gruppe erobern, es will herausfinden, wo es der Beste ist.

Wenn du das weißt, dann kannst du dem Treiben schon etwas gelassener zusehen und ihm auch andere Möglichkeiten zum Kräftemessen bieten. Du kannst deinen Sohn zum Beispiel in einem Sportverein anbieten. In diesem Fall eignen sich besonderen Kampfsportarten wie Karate, Judo oder Jiu-Jitsu.

Schau dir aber den Lehrer vorher gut an. Ein guter Lehrer wird den Kindern vermitteln, dass es in Ordnung ist, seine Kräfte zu messen, dass es aber verboten ist, andere zu verletzen. Gleichzeitig wird er ihnen sagen, dass es gefährlich ist, sich selbst zu überschätzen und dass sie gewalttätigen Konflikten aus dem Weg gehen sollen.

Du selbst musst auch nicht untätig bleiben. Sprich mit deinem Kind, warum du diese „Herumballerei“ nicht gut findest. Erkläre, dass es kein Spaß ist, jemanden zu verletzen.

Persönlicher Freiraum

Jeder braucht persönlichen Freiraum. Einen Raum, in dem er sich sicher fühlt und auch entfalten kann. Auch dein Kind hat ein Recht auf einen solchen Raum.

Es hat das Recht diesen Raum mitzugestalten. Dementsprechend gelten in diesem Raum auch seine eigenen Ordnungsstandards.

Worauf ich anspiele? Das Chaos im Kinderzimmer.

Das betrifft jetzt vor allem die Altersgruppe ab 8 Jahren. Vorher hilft du deinem Kind ein Gefühl für Ordnung zu entwickeln. Du wirst wahrscheinlich mit ihm gemeinsam aufräumen und die Spielsachen sortieren. Du wirst ihm zeigen, wie es seine Spielsachen sortieren kann und wo sie ihren Platz haben.

Ab dem Grundschulalter wird ein schleichender Prozess einsetzen und das Kind wird stufenweise die Verantwortung für sein Zimmer übernehmen. Dabei wird es aber auch seine eigenen Ordnungsstandards entwickeln. Diese werden höchstwahrscheinlich nicht mit deinen Ordnungsbedürfnissen übereinstimmen.

Hier empfehle ich folgende Regel: Im Prinzip gilt im Kinderzimmer der Ordnungsstandard der Kinder.

Einzig Vorschriften, die die Hygiene betreffen müssen eingehalten werden.
Es gibt also keine experimentelle Schimmelzucht im Nachkästchen, weil dort Essensreste versteckt wurden 😉

Das mag für dich schwer auszuhalten sein, wird aber das Verhältnis zu deinem Kind sehr entspannen.

Feste und Feiertage

Das betrifft jetzt vor allem die Ernährung. Auch wenn dir gesunde Ernährung wichtig ist, weißt du selbst, wie schwierig es manchmal ist, das über Feiertage oder bei Festen beizubehalten.

Sei doch auch bei deinem Kind gelassen und lass mal 5-e grade sein. Jede Ernährungsberaterin wird dir sagen, dass es vollkommen ausreichend ist, sich 80 % der Zeit gesund zu ernähren. Ausnahmen dürfen sein.

In diesem Zusammenhang hat mich Angelina Bockelbrink in einem Interview beeindruckt. Angelina lebt mit ihrer Familie vegetarisch. Zu Hause kocht sie ausschließlich nach dieser Ernährungsform. Wenn die Familie jedoch auswärts essen geht, dürfen sich ihre Kinder aussuchen, was sie wollen. Das finde ich einen schönen Kompromiss.

Krankheit

Wenn ein Kind krank ist, gelten einfach andere Regeln als normal. Dann wird mehr gekuschelt, es wird das Lieblingsessen gekocht, es gibt kleine Geschenke zur Ablenkung und vielleicht auch längere Bildschirmzeiten als normal. Es muss jedoch klar sein, dass es sich um eine Ausnahme handelt, die nach der Genesung wieder vorbei ist.

Diese Ausnahmen erleichtern nicht nur deinem Kind die Zeiten der Krankheit, sondern auch dir.

Ich kann mich an eine Freundin erinnern, deren Töchter nie fernsehen durften. Es gab im Haushalt zwar einen Fernseher, der wurde aber ausschließlich dazu benutzt Videos und DVDs anzusehen und war nur für die Erwachsenen da.

Eines Tages kamen die Töchter mit Läusen nach Hause. Die beiden haben ca. hüftlanges Haar. Du kannst dir vorstellen, welchen Unmut das Auskämmen mit dem Läusekamm nach sich zog. Bis meine Freundin ihnen einen Zeichentrickfilm ansehen ließ. Plötzlich waren die stundenlangen Auskämm-Sessions kein Thema mehr. Das hat die Prozedur für Mutter und Kinder sehr erleichtert.

Großeltern

Aufenthalte bei Großeltern sind in vielen Familien Anlass zu Erziehungsdiskussionen. Kinder dürfen oft bei den Großeltern wesentlich mehr als zu Hause und Eltern haben Angst, dass diese Ausnahmen einreißen.

Hier kann ich wirklich beruhigen. Kinder wissen genau, dass an verschiedenen Orten andere Regeln gelten.

Außerdem können sich Großeltern viele dieser Ausnahmen erlauben, weil sie einfach über mehr Zeit verfügen und viele Dinge mit den Kindern gemeinsam machen. Sie können es sich auch erlauben, ihre eigenen Ordnungsstandards für eine Zeit herunterzuschrauben, weil diese Zeit begrenzt ist.

Ferien

Auch in den Ferien sollten Kinder, abhängig von der Länge der Ferien, eine gewisse Zeit haben, wo sie keine Verpflichtungen haben und einfach in den Tag hineinleben können. Sie brauchen diese Zeit, um sich wirklich zu erholen. Auch Langeweile kann sehr entwicklungsfördernd sein.

Meist wird ohnehin klar, wann sie so viel Kraft getankt haben, dass sie unterbeschäftigt sind. Genau dann kannst du mit einem Ferienprogramm oder mit kleinen Lerneinheiten einsetzen. Diese gestaltest du am besten spielerisch. Dann fällt es deinem Kind auch leichter.

Fazit

Wie in allen Bereichen des Lebens gilt auch in der Erziehung: Wenn du 80 % der Zeit alles richtig machst und deinen Grundsätzen treu bleibst, dann bist du auf einem guten Weg. Ausnahmen tun Eltern und Kindern gleichermaßen gut. Sie helfen, den Familienalltag gelassen zu gestalten.

Wichtig ist, dass auch diese Ausnahmen klar kommuniziert werden und dass auch klar ist, dass sie ein Ende haben. Sonst werden sie schnell zu einer neuen – aufgeweichten – Regel.

Deine Beispiele

Jetzt bin ich gespannt, ob dir noch mehr Beispiele für sinnvolle Ausnahmen einfallen. Schreib doch in den Kommentaren mit welchen Ausnahmen du gute Erfahrungen gemacht hast.

Bleib gesund und gelassen!

Deine Mütterversteherin

Ilse Maria
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