Bereits sehr junge Kinder bringen sehr deutlich zum Ausdruck, was sie wollen und was sie nicht wollen. Sie zeigen durch ein Lächeln, was ihnen angenehm ist und durch weinen oder das Wegdrehen des Kopfes, was sie nicht mögen.

Allerdings ist so ein Menschenkind ein sehr unfertiges Wesen, wenn es zur Welt kommt. Es ist abhängig von der Liebe und Fürsorge der erwachsenen Bezugspersonen. Im Gegenzug dazu sind die Erwachsen für das Wohlergehen verantwortlich. Die Kindheit steht als Entwicklungsphase unter stattlichem Schutz. Erwachsene sind verpflichtet die Kinderrechte zu beachten und umzusetzen.

Beim Recht nach Fürsorge ist das noch relativ einfach.

Aber wie steht es um das Recht nach Beteiligung und Mitbestimmung? Wie kann das umgesetzt werden? Und vor allem: Ab welchem Alter?

Diese Fragen stellen sich viele junge Familien, die engagiert dafür eintreten, dass ihre Kinder unbelastet aufwachsen und ihre Persönlichkeit wirklich entfalten dürfen.

Mitbestimmung von jungen Kindern

So können junge Kinder mitbestimmen!

Kinder wollen mitbestimmen. Das ist ihnen in die Wiege gelegt. Kinder sind neugierige, aktive, offene und soziale Wesen. Sie stellen viele Fragen und wollen (fast) alles ausprobieren.

Kinder orientieren sich an den Erfahrungen, die sie machen. Sie nehmen die Werte, Normen und Regeln ihrer Umgebung auf. Später hinterfragen sie diese Werte und Normen. So manche Regel wird gebrochen. Solange sie sehr jung sind machen Kinder das vor allem aus Neugierde. Sie wollen wissen, was passiert, wenn sie es „einfach mal anders“ machen.

Vielleicht wollen sie auch selbst herausfinden, welche Folgen ein abweichendes Verhalten hat. Oder aber sie haben die Überzeugung gewonnen, dass die vorgelebten Modelle nicht sinnvoll sind. Oft ist es auch so, dass sich Werte, Normen und Regeln zu Hause und in Kindergarten und Schule widersprechen. Dann müssen Kinder lernen mit zwei unterschiedlichen Systemen zurecht zu kommen und sie so gut als möglich in Einklang zu bringen.

Allerdings sollen Kinder auch langsam in ein demokratisches System hineinwachsen. Dazu brauchen sie aber Vorbilder und die erhalten sie im täglichen Umgang.

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Mitbestimmung von Babys

Bereits Babys zeigen deutlich, was sie wollen und was nicht.

Du kannst aber die Mitbestimmung deines Kindes fördern, indem du alles was du machst auch sprachlich begleitest. So kann sich dein Kind darauf einstellen, was passieren wird.

Wenn du das zum Beispiel eine Zeit lang beim Anziehen machst, wirst du schnell bemerken, dass dein Kind beginnt mitzuhelfen, indem es dir z. B. eine Hand entgegenstreckt oder die Hand locker lässt, wenn du versuchst einen Ärmel drüber zu streifen.

Ein Krabbelkind könntet ihr als Eltern z. B. fragen, wer es wickeln oder beim Einschlafen begleiten soll. Solange das Kind nicht sprechen kann, ist es an euch, die Signale eures Kindes gut zu beobachten und zu entschlüsseln.

Mitbestimmung ab ca. 2 Jahren

Ab dem Alter von 2 Jahren kannst du deinem Kind schon Fragen stellen und es wird dir deutlich zeigen, was es möchte.

Gerade in diesem Alter, wo dein Kind sich noch nicht so gut ausdrücken kann, ist es wichtig, dass du sensibel auf alle Signale reagierst.

Vor allem in folgenden Situationen kannst du viel zur Mitbestimmung deines Kindes beitragen:

Beim Windelwechsel – Wenn du siehst, dass dein Kind sich zurückziehen will

  • Beim Essen – Wenn du merkst, dass deinem Kind etwas nicht schmeckt, oder dass es satt ist.
  • Bei Körperkontakt – Wenn du z. B. merkst, dass dein Kind bestimmte Personen nicht ansehen will, oder seinen Kopf wegdreht, wenn die Person es unbedingt herzen und drücken will.
  • Bei den momentanen Interessen – Auch wenn es dich nervt, für dein Kind ist es jetzt vielleicht gerade wichtig, die Ameise zu betrachten, oder stundenlang dem Bagger zuzusehen.
  • Beim eigenen Tempo: Versuche so gut es geht auf das Tempo deines Kindes Rücksicht zu nehmen.

Mitbestimmung von jungen Kindern ab 3 Jahren

Jetzt wird es richtig spannend. Denn das ist das Alter, wo das Kind entdeckt, dass es eine eigene Persönlichkeit ist. In dieser Zeit kommt es auch häufig zu den vielzitierten Trotzanfällen.

Kinder trotzen aber nicht, weil sie die Erwachsenen ärgern oder Macht ausüben wollen. Sie toben und trotzen, weil sie sich in ihrem Selbstbestimmungsrecht, das sie gerade erst für sich entdeckt haben, verletzt fühlen. Sie sind also verletzt und in Not. Eine Menge von Gefühlen strömt auf sie ein: Wut, Zorn, Enttäuschung, Unverständnis und vielleicht sogar Trauer. Mit diesen Gefühlen werden sie allein nicht fertig. Sie brauchen dich als Mama oder Papa, damit du hilfst diese Gefühlswelle unter Kontrolle zu bringen.

Wie aber kannst du dein Kind mitbestimmen lassen?

Schließlich kann es so viel und gleichzeitig doch noch nicht genug.

Ich verstehe deine Gefühle und doch gibt es einiges, wo dein Kind mitbestimmen kann:

  • Du kannst dein Kind entscheiden lassen, wann, wo und mit wem es spielt.
  • Du kannst dich mit ihm beraten, welches Spielmaterial angeschafft werden soll.
  • Dein Kind kann entscheiden, wer es zum Toilettengang begleitet. (es sei denn du bist mit ihm alleine natürlich.)
  • Du kannst dein Kind auf Unternehmungen vorbereiten und über Ausflugsziele mitbestimmen lassen.
  • Du kannst deinem Kind Rückzugsmöglichkeiten bieten, damit es ungestört sein kann, wenn es das möchte.
  • Dein Kind kann schon sagen, was es gerne essen möchte und daher kannst du es in die Gestaltung des Speiseplans miteinbeziehen.
  • Ihr könnt abends gemeinsam die Kleidung für den nächsten Tag herrichten. Dabei kannst du deinem Kind 2 Hosen und 2 T-Shirts zur Auswahl geben und es kann selbst aussuchen.
  • Bevor du für dein Kind etwas tust, kannst du fragen, ob du ihm wirklich helfen sollst.
  • Wenn du helfen sollst, dann kannst du dich erkundigen, in welcher Form das passieren soll.
  • Bring deinem Kind bei, dass es „Stopp!“ sagen darf, wenn es etwas gar nicht will.
  • Lass deinem Kind Freiheit in der Wahl seiner Freunde und Freundinnen.

Mitbestimmung als Vorbereitung auf demokratische Prozesse

Diese kleinen Akte der Mitbestimmung zeigen deinem Kind, dass du es bewusst wahrnimmst. Sie verhelfen deinem Kind zu einem stabilen Selbstwertgefühl. Kinder, die aktiv über ihr Leben mitentscheiden dürfen werden selbstbewusster, kreativer und entspannter.

Dier kindliche Wunsch nach Mitbestimmung geht eng mit dem Willen zu Selbstbestimmung einher. Wenn dein Kind mitbestimmen darf erlebt es sich als selbstwirksam. Es erkennt, dass es selbst etwas bewirken kann.

Gerade Kinder in der Autonomiephase wollen gefragt und gehört werden. Sie freuen sich, wenn ihre Meinung berücksichtigt wird. Klar, kollidiert ihr Wille manchmal mit den Bedürfnissen anderer Personen. Aber genau diese Erfahrungen machen Kinder teamfähig, wenn sie gut begleitet werden.

Menschen sind Rudeltiere. Sie wollen dazugehören und gemocht werden. Wenn dein Kind merkt, dass sein Wille, dem einer anderen Person widerspricht, dann lernt es zu verhandeln und abzuwägen, zu diskutieren und einzufühlen. Denn schließlich will es keinesfalls die Gunst der Gruppe verlieren.

Wenn du deinem Kind zeigst, wie es auf friedliche Weise zu Lösungen kommen kann, dann muss es auch nicht so oft toben oder kämpfen.

Mitbestimmung von jungen Kindern ist also eine erste Vorbereitung auf demokratische Prozesse.

Praxistipps

Streit beim morgendlichen Anziehen

Dein Kind möchte morgens die Kleidung selbst aussuchen und das führt täglich zu Stress, weil es zu lange dauert?

Versuche den Druck morgens rauszunehmen. Das machst du am besten, indem du bereits abends gemeinsam mit deinem Kind die Kleidung herauslegst. Lass deinem Kind Auswahlmöglichkeiten. Aber schränke die Auswahl auf höchstens 3 Stück einer Kategorie ein. Sonst ist dein Kind mit den Wahlmöglichkeiten überfordert.

Stress beim Einkaufen

Dein Kind macht jeden Einkauf zum Hindernislauf, weil es unkontrolliert Dinge in den Einkaufswagen legt?

Beteilige dein Kind am gesamten Einkaufsprozess. Lass es mithelfen. Sag ihm, was du brauchst und das Kind soll die Gegenstände suchen und darf sie in den Einkaufskorb werfen. Vielleicht schaut ihr euch auch bei der Obsttheke einmal ganz genau an, welche Obstsorten es gibt und ob ihr die alle benennen könnt. So ist dein Kind beteiligt und kann vom Einkauf profitieren.

Dein Kind möchte unbedingt bei jedem Einkauf etwas bekommen und wenn das nicht klappt, dann tobt es?

Mach dir vor dem Einkauf mit deinem Kind aus, dass es sich eine Kleinigkeit aussuchen darf. Legt auch ein Budget fest: z. B. 2 Euro. Wenn du magst kannst du deinem Kind auch die Münze in die Hand drücken und es darf selbst bezahlen. Dazu muss es sich aber vielleicht vorher mit dir absprechen, ob sich die ausgesuchte Kleinigkeit auch innerhalb des Budgets ist.

Dein Kind will in allen Dingen mit dir diskutieren

Es gibt Situationen, da willst du vielleicht als Mama nicht mit deinem Kind diskutieren. Nehmen wir z. B. das Verhalten im Straßenverkehr.

Du kannst mit deinem Kind vorab ein Gespräch unter vier Augen führen. Schildere die Situation und das Kind darf seine Gedanken zum Thema äußern.

Dann erklärst du ein Mal deinen Standpunkt: Beim Thema Straßenverkehr gibt es feste Regeln und die sind nicht verhandelbar.

Frag dein Kind dann, ob es dich verstanden hat. Wenn dein Kind bejat gibt es keine weiteren Diskussionen oder Erklärungen.

Stattdessen kannst du nach einer erfolgreichen Situation im Straßenverkehr abends noch einmal drauf zurückkommen. „Ich weiß, dass es dir sehr schwer fällt, mir bei der Straßenüberquerung die Hand zu geben. Lieber würdest du alleine gehen. Ich bin sehr froh, dass das heute trotzdem  mit dem Hand-geben so gut geklappt hat. Deine Sicherheit ist mir sehr wichtig.“

Streit beim Zähneputzen

Dein Kind macht ständig Rabatz, weil es nicht Zähneputzen will.

Du kannst klarstellen, dass es keine Diskussion gibt, ob die Zähne geputzt werden. Allerdings hat dein Kind Mitbestimmungsrechte: Es darf über die Farbe der Zahnbürste entscheiden, es darf die Zahnpasta aussuchen und es darf sogar entscheiden ob es selbst putzt, oder ob ein Elternteil diese Aufgabe übernehmen soll.

Vielleicht mögt ihr euch ja auch – so wie auf dem Bild – gegenseitig die Zähne putzen.

Was dein Kind durch die Mitbestimmung lernt

Bereits Kindergartenkinder lernen durch diese kleinen Mitbestimmungsmaßnahmen.

  • Sie lernen sich mit Worten auszudrücken.
  • Sie können mit anderen interagieren.
  • Sie äußern ihre Wünsche und versuchen sie mit den Wünschen und Interessen anderer in Einklang zu bringen.
  • Sie versuchen sich in andere einzufühlen.Sie lernen die Sichtweisen anderer Menschen wahrzunehmen und zu respektieren.
  • Sie lerne über ihre Gefühle, Meinungen, Gedanken und Erfahrungen zu sprechen. Sie lernen auch Worte dafür kennen.
  • Sie wirken aktiv bei der Gestaltung dieser Gesprächsregeln mit.
  • Sie können Absprachen treffen und lernen Verbindlichkeit herzustellen und zu überprüfen.
  • Sie entwickeln ein Gefühl für Fairness und lernen zu gewinnen und zu verlieren.
  • Sie übernehmen Verantwortung für sich selbst und andere.

Warum klappt es manchmal nicht

Die Vorteile der Mitbestimmung sind groß. Eigentlich ist auch sonnenklar, dass das Kind davon profitiert. Trotzdem klappt es in manchen Familien nicht.

Warum fällt es manchen Eltern so schwer, die Kinder mitbestimmen zu lassen?

Deine eigenen Kindheitserfahrungen können dir ein Schnippchen schlagen. Auch wenn du grundsätzlich und von deinen Werten her für Mitbestimmung deines Kindes bist. Es kann durchaus sein, dass in Stresssituationen ein altes Programm durchbricht, das du selbst als Kind erfahren hast. Dann stehst du plötzlich da und sagst etwas wie: „Hier passiert, was ich sage!“

Du hörst dich reden und denkst dir: „Das kann doch nicht wahr sein. Das bin doch nicht ich!“ Möglicherweise schämst du dich dann sogar, dass du deinen eigenen Grundsätzen untreu wirst.

Wenn das passiert, dann bleib ruhig und lies weiter 😉

Die Ursache dafür ist oft in der eigenen Kindheit zu finden.

Nimm dir kurz Zeit und denke über folgende Fragen nach:

  1. Wie war deine eigene Kindheit hinsichtlich Selbstwirksamkeit und Mitbestimmung?
  2. Welchen Erziehungsstil haben deine eigenen Eltern verfolgt?
  3. Durftest du als Kind mitentscheiden und wurdest miteinbezogen?
  4. Wurde deine Meinung gehört?
  5. Oder war es an der Tagesordnung, dass Erwachsene die Entscheidung getroffen haben?

Du hast erkannt, dass du selbst nicht sehr viel mitbestimmen durftest? Dann nimm einmal dein eigenes inneres Kind in den Arm und tröste es. Es vermisst die Erfahrung, die dein Kind jetzt machen darf.

Nimm einen neuen Anlauf und vielleicht kannst du sogar etwas nachnähren. Einfach, indem du dich freust, wie dein Kind aufblüht, wenn es mitbestimmen darf.

Bleib gesund und gelassen!

Deine Mütterversteherin

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