August 19, 2016

 

Trauer bei Kindern, Trauerphasen, Wenn Kinder trauern

Trauer bei Kindern

Als Abschluss meiner Serie über kindliche Emotionen will ich auch dieses – zugegebenerweise – schwierige Thema Trauer bei Kindern nicht auslassen.

Tod des Urgroßvaters

Unser Sohn war ungefähr 5 Jahre alt, als er das erste Mal mit dem Tod in Berührung kam. Unser jüngerer Sohn war zu diesem Zeitpunkt 2 Jahre alt.

Mein Großvater war gestorben. Die Kinder hatten zu ihrem Urgroßvater keine besonders intensive Beziehung. Aber sie kannten ihn und mochten ihn ganz gerne.

Unser jüngerer Sohn war viel zu klein. Er hat von all den Ereignissen nichts mitbekommen. Es war für ihn zu weit weg. Der Ältere hingegen, bemerkte, dass sich in der Familienstruktur etwas veränderte. Er registrierte, dass die Menschen um ihn herum traurig waren.

Und so stellte sich auch die Frage: Soll er zum Begräbnis mit, oder nicht. Nach langem familieninternen Hin und Her entschloss ich mich, meinem Instinkt zu vertrauen und ihn einfach zu fragen. Ich erklärte ihm: „Weißt du, es werden ganz viele Menschen kommen und Abschied von deinem Uropa nehmen wollen. Sie werden traurig sein und weinen. Wir werden in die Kirche gehen und singen. Danach wird er in einer Holzkiste begraben. Die Menschen werden Blumen in das Loch werfen und ihm so zeigen, wie gerne sie ihn hatten. Was meinst du, willst du dabei sein?“


Er entschied, dass das für ihn zu viele Menschen seien. So fand er für sich eine andere Methode, um sich von seinem Uropa zu verabschieden. Er beschloss, zu einem späteren Zeitpunkt das Grab aufzusuchen und einen Stein auf das Grab zu legen. Ich habe keine Ahnung, wie er auf diese Idee gekommen ist, aber so haben wir es dann gemacht.

Tod des Großvaters

Drei Jahre später verstarb mein Schwiegervater und es war für beide Kinder keine Frage, dass sie dabei sein wollen, wenn wir von ihrem Opa Abschied nehmen.

Trotzdem waren sie ein paar Stunden nach dem Begräbnis schon wieder lustig und spielten fröhlich im Garten, während wir Erwachsenen noch ganz niedergeschlagen im Haus saßen.

Kinder trauern anders

Kinder trauern anders, als wir Erwachsene. Wie alles, tun sie auch das sehr intensiv. Wenn man sie lässt, finden sie ihre eigenen Rituale und Wege.

Die Trauerphasen verlaufen bei Kindern oft nicht chronologisch, sondern durcheinander. Sie springen, lassen eine aus, wiederholen oft Phasen. Und sie können zwischendurch wieder ganz lustig und im Hier und Jetzt sein.

Manchmal betrauern Kinder den Verlust eines Haustieres oder eines Kuscheltieres genau so intensiv, wie den Verlust eines Angehörigen. Sie erleben diese Trauer sehr intensiv, sind am Boden zerstört. Erwachsene reagieren mit Unverständnis, weil ein totes Haustier genau so tief betrauert wird, wie ein Angehöriger.

Trauer ernst nehmen

Es ist ganz wichtig, die Trauer des Kindes ernst zu nehmen. Auch wenn dir der Verlust des Kuscheltieres albern erscheint. Dein Kind begreift damit vielleicht zum ersten Mal, dass etwas oder jemand weg ist und nicht mehr wieder kommt. Das verunsichert und macht Angst.
Kinder müssen auch den Trauerprozess lernen. Sie lernen dadurch mit etwas abzuschließen. Am besten unterstützt du dein Kind, indem du Verständnis signalisierst und ihm ermöglichst (in seiner Sprache) über seine Gefühle zu sprechen. Auch wenn es sich „nur“ um ein Haustier oder ein verlorenes Kuscheltier handelt.

Du kannst so etwas sagen wie: „Du bist traurig, dass unser Goldhamster Max jetzt tot ist und nicht mehr in seinem Käfig herumturnt.“
Hilf deinem Kind auch, sich an all die schönen Dinge zu erinnern, die es mit dem Haustier erlebt hat. So erkennt es, dass es die guten Sachen in Erinnerung behalten darf auch wenn das Haustier nicht mehr da ist.

Die Trauerphasen

In der Psychologie wird der Trauerprozess in verschiedene Phasen unterteilt. Die zwei bekanntesten Modelle sind die folgenden.

Trauerphasen nach Verena Kast

  1. Nicht wahrhaben wollen
    Der Verlust oder Tod des nahestehenden Menschen wird verleugnet oder nicht wahrgenommen. Man kann es einfach noch nicht glauben. Die eigenen Emotionen können nicht wahrgenommen werden. Oft fühlt man sich selbst „wie tot“.
  2. aufbrechende Emotionen
    Jetzt kommt der Schmerz mit aller Wucht über die Trauernden herein. Dabei kann es sich auch um verschiedene Gefühle oder um eine Mischung der Gefühle Angst, Wut, Trauer, Zorn, Niedergeschlagenheit und Schuldgefühlen handeln.
  3. sich Trennen
    In dieser Phase wird langsam Abschied genommen. Der Verstorbene wird in echten Menschen gesucht. So erkennt dein Vater vielleicht an dir Züge deiner verstorbenen Mutter. Oder der Trauernde holt Fotos hervor und erzählt Geschichten.
  4. neuer Selbst- und Weltbezug
    Der Trauernde findet Wege, um mit dem Verstorbenen positiv umzugehen. Er kann sich an die schönen Zeiten zurückerinnern und erlebt den Verstorbenen als eine Art inneren Begleiter, der Teil von ihm ist. Er findet Wege auch ohne diesen Menschen zu leben und wird wieder frei für neue Beziehungen.

Trauerphasen nach Elisabeth Kübler-Ross

Elisabeth Kübler-Ross beschäftigt sich schon mit der Sterbephase. Die Phasen können also auch schon vor dem Tod bei schwerer, ernsthafter Erkrankung eintreten. Sie gelten jedoch auch für die Trauerarbeit.

  1. Verleugnung
    Die Krankheit oder der Tod wird verleugnet und nicht wahrgenommen. Das kann so weit gehen, dass schwerwiegende Befunde einfach ignoriert werden.
  2. Wut und Ärger
    Aus der Sicht des Sterbenden ist es die Wut auf alle, die weiterleben dürfen. Aus der Sicht des Trauernden oft die Wut verlassen oder zurückgelassen worden zu sein.
  3. Verhandeln
    Diese Phase ist meistens sehr kurz. Sie kann bei Sterbenden ein Verhandeln mit Gott oder auch ein Verhandeln um eine Belohnung sein. Also etwa: Wenn ich diese Therapie mache, dann werde ich sicher weiter leben.
  4. Depressive Phase
    Dies ist die aktive Trauerphase. Es wird geweint und Abschied genommen.
  5. Akzeptanz
    Der Sterbende nimmt sein Schicksal an. Der Trauernde lernt langsam ohne den Verstorbenen zu leben.

Die Trauerphasen verlaufen nicht linear – bei Kindern schon gar nicht

Was die meisten Menschen nicht wissen, ist dass diese Phasen auch bei Erwachsenen nicht linear verlaufen. Stattdessen ist es eher so, dass sie nach dem Motto einen Schritt zurück und zwei nach vorne verlaufen. Das heißt, kurz nachdem die Phase der Wut eingetreten ist, erfolgt oft noch ein Rückfall in die Verleugnungsphase, bevor es dann ganz tief in die nächste Phase geht. Bei Kindern verlaufen diese Phasen oft springend und durcheinander. Man spricht von sogenannten Trauerpfützen.

Manche Erwachsene missverstehen das und glauben Kinder hätten ihre Trauer schon abgeschlossen. So muss es aber nicht sein. Vor allem können Kinder manche Dinge erst später beurteilen und betrauern. Wenn der Vater eines 5-jährigen stirbt wird er vielleicht traurig sein. Jedoch kann in diesem Fall die Trauer in der Pubertät noch einmal geballt zurückkommen, wenn diesem Jungen bewusst wird, dass ihm die väterliche Bezugsperson fehlt.

Reden hilft

Vor allem kleine Kinder können ihre Gefühle oft nicht ausdrücken. Deshalb ist es wichtig, Kindern immer wieder die Möglichkeit zu geben, über den erlittenen Verlust zu sprechen, ohne das Gespräch aufzudrängen. Schaffe Möglichkeiten und sei einfach offen.

Die richtige Sprache

Kinder nehmen das, was du sagst sehr ernst und können oft mit gängigen Redewendungen nichts anfangen. Wenn du also sagst: „Die Oma ist friedlich eingeschlafen!“, dann kann es sein, dass dein Kind Angst bekommt, selbst einzuschlafen und nicht mehr aufzuwachen.

Ebenso sind die Worte „ist von uns gegangen“ ungeeignet. Sie vermitteln, dass sich jemand entschieden hat zu gehen und nicht mehr wieder zu kommen. Das könnte deinem Kind das Vertrauen in andere Personen nehmen.

Bleib einfach bei den Tatsachen. Sag, dass ein lieber Mensch verstorben ist und nicht mehr wiederkommt.

Wut kann ein Ausdruck von Trauer bei Kindern sein

Wenn Kinder ihre Trauer nicht richtig ausdrücken können, kann es sein, dass sie mit Wut oder Aggression reagieren. Sei also aufmerksam und beobachte die Veränderungen deines Kindes. Hier ist nicht die Phase der Wut und des Ärgers gemeint. Wut ist oft die einzige Möglichkeit den Verlust auszudrücken.

Kleine Kinder verstehen den Tod nicht

Kinder bis zu 4 Jahren verstehen den Tod nicht. Sie können das, was passiert nicht einordnen. Setz dich mit ihnen zusammen und erkläre ihnen so gut es geht, was passiert ist.

Wenn du selbst zu sehr in deiner Trauer gefangen bist, sorge dafür, dass für dein Kind Ansprechpersonen zur Verfügung stehen, die mit dem Thema umgehen können. Wenn deine eigenen Eltern verstorben sind, dann kann es durchaus sein, dass du emotional nicht in der Lage bist, dein Kind wirklich zu unterstützen. Das ist verständlich und in Ordnung!

Und die Eltern

Einige Kinder fragen sich dann, ob auch die Eltern sterben müssen. Bleib auch da bei der Wahrheit. Wir sterben alle einmal. Du kannst deine Kinder aber beruhigen, dass das hoffentlich noch lange nicht so weit ist.

Sag aber auch, dass das nicht in unserer Macht liegt. Wir können nur gut aufpassen und durch eine gesunde Lebensweise dafür sorgen, dass wir lange gesund bleiben.

Sicherheit kannst du deinem Kind geben, indem du es deinen Herzschlag fühlen lässt. So kann es sich jederzeit versichern, dass es dir gut geht.

Zeige deine Trauer

Lass deine Kinder ruhig sehen, dass du traurig bist. So sehen sie, dass es gut und richtig ist, seine Emotionen offen zu verarbeiten und seinen Tränen auch einmal freien Lauf zu lassen. Du kannst deine Kinder nicht vor der Trauer beschützen. Sie haben feine Antennen und bekommen ohnehin mit, dass in der Familie eine gedrückte Stimmung herrscht. Du solltest aber vermeiden, dass deine Kinder dich nur mehr weinend sehen.
Vielleicht ist es dir sogar möglich, dir ein Beispiel an deinen Kindern zu nehmen und ganz im Hier und Jetzt zu sein. So schaffst auch du Inseln in deiner Trauer, auf denen das Leben angenehm und schön seind darf.

Schule und Lehrer informieren

Als meine Großmutter, zu der ich eine extrem enge Bindung hatte, verstorben war, hatte meine Mutter Schule und Klassenlehrer informiert. Ich bin ihr dafür heute noch dankbar. In den Phasen der Trauer war ich nicht immer so leistungsfähig, wie man es von mir gewohnt war, ich war vergesslich und manchmal wohl auch ziemlich abwesend.

Wenn du also die Schule und den Klassenlehrer oder die Klassenlehrerin verständigst, dann können sie auch Verständnis zeigen und dein Kind unterstützen. Außerdem kann es sein, dass sich dein Kind in der Schule anders benimmt als zu Hause. So erfährst du sicher auch von seiner Trauer, wenn es dir nichts zeigt. Kinder wollen es auch oft vermeiden die Eltern, die ohnehin trauern, zu belasten, und bleiben so mit ihren eigenen Gefühlen allein.

Keine Angst vor dem Abschied

Trau deinen Kindern zu, auf eine Trauerfeier zu gehen, wenn sie das wollen. Bereite sie aber auf das, was auf sie zukommt schonend vor. Es ist auch nicht nötig, dass Kinder in einen offenen Sarg sehen, wenn sie das nicht wollen. Manche Kinder sind aber sehr neugierig und sie wollen das schon allein deshalb, weil es alle machen. Daher solltest du vorher schon mit deinem Kind besprechen, dass die betreffende Person nicht unbedingt so aussieht, wie zu Lebzeiten.

Hier kannst du weiterlesen, wie deine ‚Ängste die Trauer deines Kindes beeinflussen.

Lass das Kind seine eigenen Rituale finden

Wenn dein Kind nicht auf ein Begräbnis mitgehen will, dann lass es sein eigenes Ritual finden. Es hat so die Möglichkeit sich würdig zu verabschieden.

Die eindrücklichste Geschichte, die ich hier gehört habe, stammt aus einem Montessori-Kinderhaus. In diesem Kinderhaus gab es ein Aquarium, das von den Kindern gepflegt wurde. In einem Sommer hatten die Fische einen Virusbefall und einige verstarben. Normalerweise wurden die verstorbenen Fische von den Pädagoginnen vor Betriebsbeginn entfernt.

Eines Tages traf es sich aber so, dass erst im Laufe des Tages ein Fisch mit dem Bauch oben auf schwamm. Betretenes Schweigen und unsichere Blicke unter den Pädagogen. Wie würden die Kinder reagieren?
Bald schon stellte ein Kind fest, dass ein Fisch tot war und verkündete das auch lautstark.

Die Kinder waren traurig und hielten Kriegsrat. Was sollte mit dem Fisch passieren? Er musste aus dem Aquarium, das stand fest. In den Biomüll war keine standesgemäße Option. Das erschien den Kindern pietätlos. Bald schon war eine Lösung gefunden. Fische leben im Wasser und dort soll er auch wieder hin. Der Fisch sollte die Toilette hinuntergespült werden.
Die Kinder sammelten sich also, verlangten ein Schälchen. Sie fischten das leblose Tier vorsichtig aus dem Aquarium und betteten ihn in das Schälchen auf ein wenig Gras. Dann begaben sie sich in feierlicher Prozession vom Gruppenraum zu den Toiletten und spülten den toten Fisch unter Pomp und Brimborium hinunter.

Ich finde diese Geschichte toll. Sie zeigt beeindruckend, welche Problemlösungskompetenz Kinder haben, wenn wir als Erwachsene die Nerven haben, sie ihren eigenen Weg finden zu lassen.

Leider können wir unsere Kinder nicht vor allem schützen. Daher finde ich es wichtig auf für einen Trauerfall vorbereitet zu sein. Das ist eine besondere Ausnahmesituation, in der wir selbst alles andere als gelassen sind.

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