Wenn Eltern mit dem Wort Erziehung Probleme haben, dann höre ich oft: „Ach, ich mache das nach Bauchgefühl!“

Das klingt erstmal ganz einleuchtend und gleichzeitig kann es Probleme verursachen.

Du willst wissen warum? Dann lies einfach weiter.

Erziehung nach Bauchgefühl

Erziehung nach Bauchgefühl ist ein Mythos

Hartnäckig hält sich das Schlagwort „Erziehung nach Bauchgefühl“. Aber mit dem Bauchgefühl ist es so eine Sache. Es kommt nicht aus sich selbst heraus.

Dein Bauchgefühl beruht auf:

  • Deiner eigenen Erziehung.
    Wenn du als Kind nicht besonders viel Zuwendung erfahren hast, dann setzt sich bei dir vielleicht der Gedanke fest, dass man Kinder ja nicht verwöhnen soll.
  • Den Erfahrungen, die du im Laufe deines Lebens gemacht hast.
    Musstest du als Kinder mit einer lieblosen Kindergartenpädagogin zurechtkommen, dann lebst du vielleicht nach dem Grundsatz: „Was uns nicht umbringt, macht uns härter.“
  • Instinktiven Verhaltensweisen
    Menschen sprechen mit Säuglingen in einer höheren Stimmlage.
  • Dem Austausch mit deinem Umfeld.
    Deine Freunde erzählen dir fortwährend, wie gut die Schule xy ist. Dann wird dir dein Bauchgefühl wohl dazu raten, dein Kind auch in diese Schule zu geben. Auch dann, wenn dein Kind vielleicht an einer anderen Schule besser aufgehoben wäre.
  • Bauchgefühl ist stimmungsabhängig
    Du hattest am Vormittag eine Arbeitssitzung, wo deine Meinung nicht gehört wurde. Am Nachmittag räumt das Kind trotz mehrmaliger Aufforderung den Tisch nicht ab. Dein Bauchgefühl signalisiert dir: „Alle tanzen mit auf der Nase herum, das darf ich mir nicht gefallen lassen.“ – Und schon schimpfst du mit deinem Kind.

Das Bauchgefühl entsteht also aufgrund von langer Beschäftigung mit einem Thema. Diese Beschäftigung kann unbemerkt und unbewusst ablaufen. Allerdings ist dieses Bauchgefühl immer geprägt von dem was du weißt, was du selbst erfahren hast und was dir beigebracht wurde.

Du kannst also erkennen, dass dein Bauchgefühl in für dich neuen Situationen oder in einem neuen Umfeld nicht vertrauenswürdig ist.

Ich bringe dir ein Beispiel:

Stell dir vor du bist auf Reisen. Du kommst in ein eher südliches Land. Eine Person spricht dich an und kommt dir nahe. Du weichst unwillkürlich zurück. Die Person nähert sich wieder. Du fühlst dich unbehaglich. Dein Bauchgefühl signalisiert dir, dass diese Person übergriffig ist. Die Person versteht dein Signal nicht und rückt nach, weil es in ihrer Kultur liegt. Das empfindest du vom Bauchgefühl her als unhöflich.

Wenn du allerdings weißt, dass die intime Distanz kulturabhängig ist, dann sieht es anders aus. Im D-A-CH-Bereich haben wir einen persönlichen Abstand von ca. 20 – 60 cm um die Person herum. Im skandinavischen Bereich ist diese Distanz – die sogenannte intime Zone etwas größer. Im südamerikanischen Raum ist diese Zone geringer. Im arabischen Raum ist diese Intime Zone vor allem bei Männern untereinander wesentlich geringer als im D-A-CH-Raum.

Erziehung nach Bauchgefühl ist nicht prinzipiell schlecht

Es gibt ein sogenanntes intuitives Elternprogramm. Das sind bestimmte Verhaltensweisen, die Erwachsene im Umgang mit Babys und Kleinkindern an den Tag legen. Die meisten Erwachsenen nähern sich einem Säugling auf 40 – 50 cm. Das ist genau die Distanz, wo das Baby gut sehen kann.

Menschen sprechen mit Babys langsamer und in einer höheren Stimmlage. Das stimmt mit dem Kommunikationsbedürfnis von Säuglingen überein.

Viele Menschen begeben sich in die Hocke, wenn sie mit jungen Kindern sprechen. Somit befinden sie sich auf Augenhöhe des Kindes.

Bauchgefühl allein reicht in der Erziehung nicht

Bauchgefühl allein reicht nicht, um Kinder gut zu begleiten. Das Leben verändert sich rasend schnell. Junge Eltern stehen vor Herausforderungen, mit denen vorhergehende Generationen nichts zu tun hatten. Früher gab es keine 24 Stunden-Erreichbarkeit, es gab nicht so viele Bildschirmgeräte, die Ablenkungen für Kinder waren nicht endlos. Für all das fehlt es an Vorbildern und Rollenmodellen.

Neue Situationen fordern also nach neuem Wissen und neuen Informationen. Erst damit kann wieder ein neues Bauchgefühl entstehen.

Ilse Maria Lechner

Sobald du zweifelst, ist das Bauchgefühl kein guter Ratgeber

Wenn du dich fragst, ob deine Entscheidung richtig ist, dann ist das Bauchgefühl kein guter Ratgeber. Dir fehlt es wahrscheinlich an Wissen, um eine gute und sichere Entscheidung zu treffen.

Wenn du dich innerlich zerrissen fühlst und nicht mehr weißt, was du tun sollst, dann ist das Bauchgefühl kein guter Ratgeber, sonst wärst du felsenfest überzeugt die richtige Entscheidung zu treffen. Du könntest sie schnell treffen.

Wenn du eine Entscheidung triffst oder Maßnahmen setzt und sie führen nicht zum gewünschten Erfolg, dann haben dich deine Instinkte wahrscheinlich getrogen. Schau dir mal an, wie es andere machen, damit sie zum erwünschten Ergebnis kommen.

Vor allem dann, wenn du etwas anders machen willst, als du es selbst erfahren und gelernt hast, ist das Bauchgefühl kein guter Ratgeber.

Du hast selbst Belohnung und Bestrafung erlebt und möchtest dein Kind anders begleiten? Dann brauchst du erst einmal neue Rollenmodelle und Leitbilder. Die findest du am ehesten in Menschen, die sich intensiv mit Erziehung und Entwicklung beschäftigen. Wenn du solche Menschen nicht in deinem Umfeld hast, dann können Bücher eine gute Hilfe sein.

Hole Kopf und Bauch ins Boot

Zuerst einmal: Wissen

Eigne dir Wissen an. Frage Fachpersonen, lese Bücher und befrage Freunde und Bekannte. Frage dich dabei aber immer auch: Woher kommen diese Menschen? Was haben sie erlebt? Wie wurden sie geprägt?

Schnell wirst du dann feststellen, ob deine Werte bezüglich Erziehung mit den Werten dieser Personen übereinstimmen.

Ich bin selbst – für die damalige Zeit – sehr tolerant, offen und liebevoll aufgewachsen. Trotzdem war mir klar, dass ich Vieles anders machen wollte, als meine Eltern. Für mich war es z. B. undenkbar mein Baby an bestimmte Stillzeiten zu gewöhnen oder es schreien zu lassen.

Mein Weg zu meiner heutigen Erziehungseinstellung war ein langer und steiniger. Ich bin einige Umwege gegangen. Nicht jedes Buch, das ich gelesen habe, würde ich heute weiter empfehlen. Dennoch haben mir auch Bücher, die ich heute nicht mehr uneingeschränkt empfehlen würde, weitergeholfen und interessante Denkanregungen gebracht.

Folgende Autoren kann ich wirklich empfehlen:
Remo Largo, Nora Imlau, Inke Hummel, Herbert Renz-Polster und Heidi Maier-Hauser.

Gute Dienste im Fachbereich haben mir auch die Bücher von Manfred Döpfner, Michael Schulte-Markwort, Haim Omer, Jesper Juul, Thomas Gordon und Gary Chapman geleistet. Nicht alle sind für den Hausgebrauch geeignet. Manche der genannten Autoren schreiben für Kinder mit ADHS oder Angststörungen. Bei manchen habe ich mir wertvolle Denkanstöße geholt. Diese Bücher finde ich sinnvoll, um Zusammenhänge zu verstehen. Ich habe sie genützt, um dieses Wissen in meine eigene Arbeitsweise einzugliedern.

Kinder ins Leben zu begleiten ist eine wunderschöne aber auch sehr herausfordernde Aufgabe.

Daher lohnt es sich, jede Ressource zu verwenden, die du zur Verfügung hast.

Kopfmenschen setzten sich oft sehr mit pro und kontra auseinander. Sie fassen einen Entschluss und setzen ihn um. Das kann von Vorteil sein. Denn sie sind in der Lage auf Regeln und Strukturen zu achten.

Beispiel:
Du stellst gemeinsam mit den Kindern Regeln für die Nutzung von Bildschirmgeräten auf und achtest darauf, dass diese Regeln auch eingehalten werden. Das machst du auch dann, wenn du selbst gerade mal keine Lust hast, den Buhmann zu spielen.

Es kann aber auch sein, dass diese Kopfmenschen die selbst aufgestellten Regeln sehr streng befolgen und selbst daran zerbrechen.

Ein Beispiel:

Gesundes Essen ist dir wichtig. Also bereitest du alle Mahlzeiten frisch zu. Das ist toll. Wenn du aber in Stresssituationen nicht in der Lage bist, von diesem Verhalten abzuweichen, dann wirst du damit noch mehr Stress produzieren. Ab und zu eine Pizza bestellen kann für dich als Mama erholsam sein und die Kinder werden es lieben.

Ohne Empathie kein Bauchgefühl

Mit dem Buachgefühl ist das so eine Sache. Es gibt uns eine klare Information. Weiter oben konntest du lesen, dass diese Information auf Erfahrung beruht. Aber auf wessen Erfahrungen greift diese Information zurück?- Auf deine!
Welche Bedürfnisse werden damit abgedeckt? Deine oder die des Kindes?

Stell dir vor, dein Kind steht im Supermarkt und tobt. Du hast ihm versprochen, dass es sich eine Sache aussuchen darf. Dein Kind ist aber von der Auswahl komplett überfordert und weiß nicht, wie es sich entscheiden soll. Aus Frust heraus tobt es. Wie würdest du nach deinem Bauchgefühl handeln?

Gerade in solchen Situationen ist das Bauchgefühl meistens ein schlechter Ratgeber.

Schnell kommen dir Sätze in den Sinn wie:

  • Mein Kind will mich erpressen.
  • Das macht es absichtlich, um mich in Verlegenheit zu bringen.
  • Es sollte doch schon längst überlegt haben, was es gerne möchte.

Es kann natürlich sein, dass du über Erfahrungen verfügst, die der derzeitigen Situation deines Kindes entsprechen. Vielleicht bist du selbst einmal in einem Kaufhaus gestanden und hast getobt, weil du dir etwas aussuchen durftest und dich nicht entscheiden konntest. Die Überforderung hat sich Luft gemacht. Dann wirst du aus dem Bauchgefühl heraus dein Kind gut unterstützen.

Wenn du aber selbst diese Erfahrungnicht gemacht hast, dann hilft nur Einfühlungsvermögen, genaues Zuhören und Beobachten. Was hat zum Tobeanfall geführt? Wie könntest du dein Kind jetzt gut begleiten? Was braucht es?

Du siehst, um ein Kind zu begleiten braucht es nicht nur Buachgefühl, sondern auch Wissen, Information, Einfühlungsvermögen und eine gute Beobachtungsgabe. Vor allem solltest du gelernt haben deine Beobachtungen von Bewertungen zu trennen.

Bleib gesund und gelassen!

Deine Mütterversteherin,

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