Trauer – ein unerwünschtes Gefühl

Heute möchte ich dir eine kleine Übung vorstellen, die Hilfe bei Trauer bieten kann.

Es gibt Gefühle, die die meisten Menschen schätzen und gerne haben wollen. Allen voran die Liebe.

Und dann gibt es eine Gruppe von Gefühlen, die allgemein als schlecht abgestempelt werden. Zu dieser Gefühlsgruppe gehört neben Wut, Angst und Scham auch die Trauer.

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In meiner Kinesiologie-Ausbildung habe ich gelernt: Ein Gefühl ist ein Gefühl. Punkt. Es ist für sich betrachtet weder gut noch schlecht. Die Bewertung geben wir ihm, weil wir es entweder gerne spüren – das gute Gefühl; oder eben nicht gerne spüren – das schlechte Gefühl.

Jedes Gefühl hat eine Aufgabe

Auch wenn es uns unangenehm ist: Jedes Gefühl hat eine Aufgabe. Sofort klar, wird das am Beispiel der Angst. Angst z. B. will vor etwas warnen und führt uns zu Kreativität.
Angst zeigt dir eine Grenze auf. Wenn du ungewohntes Terrain betrittst, dann stellt sich Angst ein. Zuerst als leichtes Unbehagen, später als Nervosität und dann als echte Angst. Dabei ist es egal, ob du eine emotionale Grenze übertrittst und dich einfach bewusst aus der Komfortzone bewegst oder ob du im Wald plötzlich einem Bären gegenüber stehen würdest.
Angst lähmt manche Menschen, sie zwingt sie still zu halten, zu überlegen und dann nach Lösungen zu suchen.

„Welche Aufgabe aber hat die Trauer?“, fragst du dich vielleicht. – Hab bitte ein wenig Geduld, das klären wir gleich. Erst aber noch ein paar grundlegende Informationen.

Gefühle kannst du erzeugen

Es ist tatsächlich so. Viele deiner Gefühle erzeugst du selbst. Es ist die Bedeutung, die du einem Ereignis zuschreibst.
Hinter den Gefühlen Wut, Trauer, Angst, Freude und Scham steht jeweils eine Grundinterpretation, die sehr tief in unserer menschlichen Psyche festgeschrieben ist.

Diese kleine Übung kann dir bei der Trauerbewältigung helfen

(Diese Übung stammt aus dem Buch Gefühle und Emotionen von Vivian Dittmar)

Stell dir eine neutrale Situation vor, die für dich keinerlei emotionale Ladung hat. Am besten du nimmst einen Gegenstand, wie z. B. ein Bild an der Wand eines Büros oder einen fremden Menschen, z. B. jemand, der an einer Bushaltestelle wartet.

Jetzt erzeuge eine Interpretation dieser Beobachtung nach folgendem Schema:

  1. Es ist falsch, dass … weil …
  2. Es ist schade, dass … weil …
  3. Es ist furchtbar, dass … weil …
  4. Es ist richtig/schön, dass … weil …
  5. … bedeutet, dass ich falsch bin, weil …

Also z. B. Dieses Bild ist hier falsch, weil es viel zu freizügig ist für diese seriöse Umgebung. Es passt hier nicht hinein.
Oder: Es ist schade, dass dieses Bild nicht in einem Museum hängt, weil es dann viel mehr Menschen zugänglich wäre.
Oder: Es ist furchtbar, dass dieses Bild hier so versteckt hängt, weil sich niemand daran erfreuen kann.
Oder: Es ist schön, dass dieses Bild hier hängt, weil es den Menschen den Aufenthalt in diesem Wartebereich verschönert.
und endlich: Ich mag dieses Bild nicht. Das bedeutet, dass ich von Kunst nichts verstehe, weil ich es einfach nicht würdigen kann.

Du wirst merken, dass bei jedem Satz ein Gefühl hochkommt. Sei aufmerksam und versuche es zu benennen. Spüre nach. Merkst du, wie du jedes Mal einen anderen Blick auf die Tatsache bekommst? Mit jedem neuen Satz verändert sich nicht nur dein Blick, sondern auch dein Gefühl zu der Situation.

Falls du nichts selbst klar bemerkst, was das in dir auslöst: Am Ende des Artikels werde ich auflösen, mit welchen Gefühlen diese Interpretationen in Zusammenhang stehen.

Die gesellschaftliche Reaktion auf Trauer

Trauer ist ein Gefühl, für das es kein großes gesellschaftliches Verständnis gibt. Es gibt wenig Hilfe bei Trauer.
Wenn jemand traurig ist, dann sieht er sich oft Unverständnis oder Spott ausgesetzt. Spott macht große Dinge klein. Mit Spott reagieren vor allem Menschen, die durch die Größe der Trauer verunsichert sind. Sie erkennen das Geschenk nicht, das in der Trauer liegen kann.

Aber auch das Abwehren von großen Gefühlen ist eine übliche Reaktion:

  • Das geht schon vorbei.
  • Das wird schon wieder.
  • Das ist doch nicht so schlimm.
  • Bis hin zu: Jetzt stell dich nicht so an.

All das passiert, weil den Menschen bei Trauer selbst die Worte finden. Worte des Beistandes und des Mitgefühls tun gut. Leider sind viele Mitmenschen dazu nicht in der Lage, weil sie selbst unangenehm berührt sind und das Gefühl der Trauer wegschieben wollen.

Die Aufgabe der Trauer

Die Aufgabe der Trauer ist es Dinge anzunehmen. Sie annehmen zu können bzw. sie annehmen zu lernen. Sie hilft dir loszulassen und dich dem Fluss des Lebens hinzugeben.
Du kannst dich in deiner Trauer suhlen, solange, bis du genug hast und dein Herz wieder für die Liebe und das Schöne öffnen kannst.

Die Interpretation ist hier: Es ist schade, … Der Blick zurück ist mit Wehmut verbunden.

  • Es ist schade, dass heute das Wetter so schlecht ist, ich hätte gerne einen Ausflug gemacht.
  • Es ist schade, dass ich mein Kind nicht spontan besuchen kann, weil es zu weit weg wohnt.
  • Es ist schade, dass es einen geliebten Menschen nicht mehr gibt.
  • Es ist schade, dass das mit dem Hauskauf nicht geklappt hat.

Es ist notwendig, dass du genau weißt, was du möchtest, damit du es schade finden kannst, wenn du es nicht bekommst. Du weißt, was du willst, kannst es im Moment aber nicht erreichen. Daher kannst du die Situation nur annehmen. Etwas anderes bleibt dir im Moment nicht übrig. Genau dieses „annehmen“ hilft dir beim bewältigen deiner Trauergefühle. So bist du in der Lage, dir selbst Hilfestellung in deiner Trauer zu geben.

Trauer bedeutet also auch Annahme

Trauer beinhaltet also im endgültigen Ergebnis auch Annahme. Dass es auf dem Weg zu dieser Annahme viele Hürden gibt, zeigen die verschiedenen Trauermodelle.

Die Kraft der Trauer

Die Trauer hilft dir Abschied zu nehmen und Vergangenes zu verarbeiten. Sie unterstützt dich dabei Menschen und Dinge loszulassen.

Sie hilft dir auch eine Position aufzugeben. Um all das zu erreichen musst du deine eigene Hilflosigkeit anerkennen und annehmen. Du schließt Frieden mit den Tatsachen, die du nicht ändern kannst.

Wenn du andere in ihrer Trauer gut begleiten kannst, dann bist du einfach da. Du kümmerst dich unauffällig um sie. Ohne große Worte.

Trauer ist unangenehm und notwendig

Du siehst also schon. Trauer ist nicht schlecht. Ihr wohnt eine Kraft zur Annahme und für den Neubeginn inne. Denn nur wenn du etwas gut verabschiedet hast, kannst du etwas Neues willkommen heißen. Trauer unterstützt dich also dabei, weiter zu gehen.

Wie ist das aber dann mit Verdrängung von Trauer und Depression, mit Selbstaufgabe und Handlungsunfähigkeit. All das sind Eigenschaften, die mit Trauer manchmal einhergehen.

Jedes Gefühl braucht das richtige Maß

Schon Aristoteles hat erkannt:

Jeder kann wütend werden, das ist einfach. Aber wütend auf den Richtigen zu sein, im richtigen Maß, zur richtigen Zeit, zum richtigen Zweck und auf die richtige Art, das ist schwer.

(Aristoteles)

Der Ausspruch lässt sich auf jedes Gefühl umlegen.


Bei der Trauer würde er etwa so lauten:
Jeder kann traurig werden, das ist einfach. Aber traurig zu sein wegen der richtigen Sache, im richtigen Maß, zur richtigen Zeit, zum richtigen Zweck und auf die richtige Art, das ist schwer.

Was passiert, wenn du Trauer nicht zulässt

Schauen wir uns zuerst einmal an, was passiert, wenn du Trauer nicht zulässt.

Dinge, Personen und Beziehungen werden beliebig austauschbar. Wenn etwas oder jemand weg ist, wird er ersetzt. Dadurch fehlt es den Beziehungen an Tiefe.

Wenn du keine Trauer fühlen willst, dann bleibt dir nichts anderes übrig, als Verluste zur Seite zu schieben und sie nicht zu beachten. Das geht im schlimmsten Fall bis zur Verdrängung.

Gleichzeitig bringt das aber mit sich, dass du auch die schönen Erlebnisse nicht so gut zulassen kannst. Denn sonst würde der Abschied oder Verlust ja schmerzen. Wenn du also sicher vor Verletzungen und Trauer sein willst, so musst du dich zurückziehen und darfst andere – egal ob Mensch oder Tier – nicht an dich heranlassen. Du darfst dein Herz nicht verschenken – es könnte ja zerbrechen.

Wenn du zu viel oder zu lange Trauer erzeugst

Wie wir schon in der Übung gesehen haben, lassen sich Gefühle mittels Interpretationen erzeugen. Du erzeugst also auch deine Trauer. Das ist gut, denn Trauer hat eine Kraft, die dich weiter bringt.

Wenn du aber zu viel trauerst, dann landest du in einer Sackgasse. Du wirst melancholisch oder depressiv. „Es ist schade…“ ist die einzige Interpretation, die du zulässt.
Das nimmt dir die Kraft der Veränderung. Es hemmt deine Kreativität. Es lähmt dich aber auch in deiner Verantwortung. Denn wenn alles schade ist, dann gehst du davon aus, dass du nichts verändern kannst. Du nimmst dir also die Handlungsmöglichkeit.

Nimm deine Trauer an und nütze sie

Trauer ist ein starkes Gefühl, dem sehr viel Kraft innewohnt. Gelingt es dir, die Trauer anzunehmen, ohne darin zu versinken, dann setzt sie ein enormes Potenzial frei: die Liebe. Du kannst dich in Liebe erinnern. Du kannst all das Schöne, was du erlebt hast, noch einmal Revue passieren lassen. Wenn du Glück hast, wird sich dann ein Gefühl der Dankbarkeit einstellen.

Die Interpretation der Gefühle

Ich habe dir noch eine Auflösung versprochen. Welches Gefühl steckt hinter den jeweiligen Interpretationen.

1. Es ist falsch, dass … weil … –> Wut
2. Es ist schade, dass … weil … –> Trauer
3. Es ist furchtbar, dass … weil … –> Angst
4. Es ist richtig/schön, dass … weil … –> Freude
5. … bedeutet, dass ich falsch bin, weil … –>Scham

Ich hoffe mit dieser Übung gelingt es dir jetzt ein wenig besser deine Trauer anzunehmen und die Kraft der Trauer zu nützen.

Bleib gesund und gelassen!

Deine

P.S.: In dieser Diplomarbeit, die an der Uni Wien verfasst wurde, kannst du dein Wissen rund um das Thema Trauer vertiefen, falls du Lust hast.

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