Schulnoten abschaffen – klingt gut! Aber ist das die Lösung?

Letzte Nacht hatte ich einen Traum.

Schulnoten abschaffen? - Ist das die Lösung?

Einen Traum von meiner Schulzeit


Ich stellte mir im Traum die Frage, ob es sinnvoll wäre, die Schulnoten abzuschaffen. – Das fand ich beim Aufwachen sehr spannend.
Tatsächlich habe ich eine sehr angenehme Schulzeit verbracht, ich hatte viele angenehme Lehrer und klarerweise auch ein paar nicht so tolle.

Pünktlich zu den Semesterferien geistert dieses Thema auch wieder durch die Medien. Eine Vorarlberger Schule lehnt sich gegen den Notenzwang auf und will die Schulnoten abschaffen und durch eine mündliche Beurtielung ersetzen. Das findet die Montessori-Pädagogin in mir gut. Denn Zwänge sind immer schlecht für die Entwicklung. Ich weiß aber auch, dass eine gute verbale Beurteilung sehr aufwändig ist.

Es ist zu kurz gegriffen, die ganze Diskussion um die Schulmisere nur an den Noten aufzuhängen.

(persönliche Meinung)

Ich war grundsätzlich eine gute Schülerin mit einem Einbruch in der 11. Schulstufe (7. Klasse Gymnasium). Dieser Einbruch war der Pubertät geschuldet.

Dennoch gibt es zwei Gegenstände, die mich immer noch manchmal bis in meine Träume verfolgen: Turnen und – jetzt lach nicht – Mathematik. Und das obwohl ich in Mathe gut war und nie Schwierigkeiten hatte. Im Gegenteil; ich mag Mathe wirklich gern.

Warum also verfolgen mich ausgerechnet Turnen und Mathe bis in meine Träume?

Nun das ist relativ einfach zu erklären

Im Ball spielen war ich eine Niete. Ich hatte einfach Panik vor dem Ball. Nachdem unsere Turnprofessorin viel Wert auf Ballspiele legte, war turnen für mich ein ungeliebtes Fach.

Ich hielt mich sogar für unsportlich. Und das obwohl ich jahrelang Jazz-Dance gemacht habe. Aber das war in meinen Augen ja auch Tanz und kein Sport.
Ich ging Schi fahren (machte damals jeder), fuhr gern und oft mit dem Rad (das war unser beliebtestes Fortbewegungsmittel) liebte es zu schwimmen und hasste es dabei den Kopf unter Wasser zu tauchen. Das mit dem Kopf-nicht-unter-Wasser-tauchen-wollen war in den Augen unserer Turnprofessorin ein weiterer Minuspunkt. Du hast es sicher schon geahnt.

Wäre ich ohne Noten besser dran gewesen?

Nach meinem Traum fragte ich mich also, ob es sinnvoll wäre die Schulnoten abzuschaffen. Wäre ich ohne Schulnoten besser dran gewesen?

Im ersten Ansatz kam es mir ziemlich verlockend vor zu sagen: „Ja, klar!“

Bei Turnen hätte es vielleicht auch gestimmt. Ich hätte nicht das Gefühl vermittelt bekommen total unsportlich zu sein. Wirklich? – Nein. Denn wenn der Fokus auf Ballspielen gelegen hat, dann wäre es auch ohne Noten nicht besser gewesen. Ich hatte an Ballspielen einfach keinen Spaß. Ich hatte eine tiefe Abneigung gegenüber dem fliegenden Objekt.

Wenn ich also ehrlich zu mir selbst bin, dann hätte ich von einer Abschaffung der Schulnoten in Turnen nicht profitiert. Ich hätte mich genauso unsportlich gefühlt, wie mit Noten.

Wie war das eigentlich in den anderen Gegenständen?

Somit grub ich weiter in meinem Gedächtnis. Wie war das in den anderen Gegenständen. Hätten sie mir ohne Noten mehr Spaß gemacht?

Auch da kann ich ganz ehrlich sagen: Nein!

Wenn ich an einem Gegenstand keinen Spaß hatte, dann lag das nicht an den Noten. Es gab Gegenstände, die ich trotz ausgezeichneter Leistungen nicht wirklich mochte und andere, die ich geliebt habe, obwohl meine Leistungen nicht hervorragend waren.

Es lag nicht einmal an einer besonders fortschrittlichen und modernen Art des Unterrichts. Gelungener Unterricht hatte ganz andere Gründe.

Ein Deutschlehrer der alten Schule

Als ich ins Gymnasium kam, hatten wir einen Deutschlehrer der alten Schule. Seine Unterrichtsmethoden würden jedem modernen Pädagogen die Haare zu Berge stehen lassen.

Wir hatten wöchentliche Diktate, führen ein Grammatikheft und mussten die Regeln auswendig lernen, wir hatten als Hausübung Wort- und Satzanalysen, deklinierten und konjugierten was das Zeug hält. Scheinbar das Grauen jedes Schülers.

Aber jetzt kommt es: Wir haben diesen Lehrer geliebt. Er brannte für sein Fach und konnte uns seine Begeisterung vermitteln. Dieser besondere Mensch schaffte es sogar, uns klar zu machen, warum er seine scheinbar sinnlosen Aufgaben für wichtig erachtete.

Unser alter Deutschprofessor zeichnete sich durch eine große Liebe für uns Schüler und Schülerinnen aus. Stets hatte er ein Lächeln im Gesicht und er wirkte aufgrund einer Kriegsverletzung eher großväterlich.

Wenn er bemerkte, dass wir einmal nicht so aufnahmefähig waren, erzählte er zwischendurch Geschichten von früher und ließ uns so  Zeitgeschichte lebendig werden. Trotzdem ist er nie von seinen Anforderungen an uns abgewichen.

Nach der 6. Schulstufe (2. Klasse Gymnasium) hat er uns verlassen und wurde pensioniert. Sein Nachfolger hatte es echt schwer mit uns. Er war ein ausgezeichneter junger Lehrer, aber er musste uns erst einmal beweisen, dass er es genauso gut meinte, wie sein Vorgänger. Schließlich schaffte er das auch. Er konnte auf dem guten Fundament in Grammatik und Rechtschreibung des Vorgängers aufbauen und stellte selbst hohe Anforderungen in Literaturgeschichte und Literatur.

Übrigens war neben ihm auch der alte Deutschlehrer bis zu seinem Tod bei jedem unserer Klassen- und Maturanten Treffen eingeladen und dabei.

Eine Französischlehrerin, die alles durchgehen ließ und eine strenge mit Engagement

Meine Eltern waren durchaus als frankophil zu bezeichnen und wenn sie sich eine Privatschule hätten leisten können, wäre ich am Sacre Coeur gelandet. Somit war mir ein grundsätzliches Interesse für Französisch in die Wiege gelegt.

In der 9. Schulstufe freute ich mich auf Französisch. Wir bekamen leider eine junge Lehrerin ohne Erfahrung, der mehr an einem freundschaftlichen Verhältnis zu den Lernenden, als an Leistung gelegen war. Wir hatten also jede Menge Spaß mit ihr, kochten französische Gerichte und gingen Eis essen. Sie machte uns aber nicht klar, wie wichtig die Grundlagen einer Sprache sind. Vokabel lernen? – Das wird schon irgendwann. Grammatik? Naja, das versteht halt nicht jeder!

Im Jahr danach bekamen wir die Lehrerin, die den Ruf hatte, die strengste der ganzen Schule zu sein. Schnell stellte sich heraus, dass die ganze Klasse große Lücken in den Grundlagen der französischen Sprache hatte. Die erste Schularbeit des Jahres war eine Katastrophe. Was machte also besagte Lehrerin über die immer wieder gelästert wurde, weil sie so streng war?

Sie lud die ganze Klasse an einem Freitagnachmittag zu sich nach Hause ein und arbeitete mit uns die Grundlagen noch einmal durch. Sie machte uns klar, dass Vokabel in einer Fremdsprache das um und auf beim Sprachen lernen sind und sie bestand auf regelmäßigen Vokabelabfragen.

Was meinst du bei welcher Lehrerin wir mehr Spaß und Erfolgserlebnis hatten?

Richtig – bei der strengen, obwohl unsere Noten erst einmal alle um mindestens einen Notengrad sanken. Aber sie konnte uns auch motivieren und uns vermitteln, dass diese Durststrecke bald überwunden sein würde. Meine war es übrigens nie ganz. Ich war zwar mündlich eine der Besten, aber für die Abstimmung der Adjektive an die Person war ich schlicht zu schlampig. Da konnte ich die fehlenden Grundlagen schriftlich nur schwer aufholen. Ich hatte es einfach von Anfang an schlecht eingeübt und schleppte diese Fehler mit. Aber ich lernte eine weitgehend akzentfreie Aussprache, die ich leider aufgrund mangelnder Übung nicht mehr beherrsche.

Ein Englisch- und Turnlehrer, der mit Kreide schoss

Unser Klassenvorstand war gleichzeitig unser Englischlehrer und der Turnlehrer der Jungs. Er war ein typischer Turnlehrer, athletisch und braun gebrannt. Wenn es einen Schikurs an der Schule gab, dann war er ziemlich oft der Leiter.

Wenn wir in Englisch schwätzten, dann konnte es schon sein, dass ein Stück Kreide knapp neben unseren Ohren vorbeiflog. – Nach heutigen Maßstäben hochpädagogisch *ironioff*.

Trotzdem hatte er immer ein offenes Ohr für unsere Probleme und nahm uns als Klassenvorstand nach außen immer in Schutz und verteidigte uns. Das Donnerwetter gab es dann im Klassenrahmen. Er hatte allerdings auch viel Verständnis und zeigte uns, dass er zwar unzufrieden mit unserem Verhalten war, aber uns auch verstehen konnte.

Hatte er mit den organisatorischen Aufgaben des Klassenvorstands zu tun und wir wurden zu laut, dann sagte er einfach nur: „Aufstehen!“, war es dann wieder ruhig folgte ein „Setzen!“ – Auch das wird heute als pädagogisch höchst fragwürdig angesehen. Ehrlicherweise kann ich aber sagen, er hat mit dieser stillen, beherrschten Art eher erreicht als andere mit drohen, donnern oder ungerechter Benotung.

Die andere Seite dieses Mannes war eine sehr väterliche. Wir fuhren an Schulwandertagen mit dem Rad an sein privates Seegrundstück und waren dort schwimmen und grillen. Wir fühlten also, dass er es gut mit uns meinte.

Die Maturareise ging in die Türkei an genau den Campingplatz an dem er mit seiner Familie seit Jahren Urlaub machte. Alle die damals mitgefahren sind, waren quasi ins Familienleben integriert.

Ein Matheprofessor mit einem Selbstwertproblem

So nun kommen wir zu Mathematik. Mit diesem Gegenstand hatte ich meine Schwierigkeiten, obwohl ich ganz gut war. Dieses „gut sein“ verdanke ich dem mathematischen Verständnis meines Vaters. Wann immer ich in der Schule nicht kapiert hatte, was zu tun war, ließ er mich abends in einer Einzelsitzung selbst draufkommen.

Besagter Matheprof schickt uns mit halb gerechneten Beispielen nach Hausübung lösen. Sehr witzig!

Wenn er sich gegen die Klasse nicht durchsetzen konnte, drohte er, fing an zu brüllen oder schickte einzelne Schüler zum Direktor.

Was soll ich sagen: Mathe mochte ich nie!

Wenn er merkte, dass er mit seiner Brüllerei übertrieben hatte, dann unterhielt er uns mit den ewig gleichen Geschichten, in denen er sich selbst möglich interessant darstellte. Manchmal schwadronierte er so lange, bis die Stunde vorbei war. Wir Schüler und Schülerinnen fanden das zwar auf der einen Seite angenehm und versuchten ihn auch noch in seinem Erzählfluss zu unterstützen.

Instinktiv fühlten wir aber auch, dass er nur um einen schlechten Ausgleich für sein vorheriges Brüllen bemüht war. Wir nahmen ihn also nicht sehr ernst. Außerdem wussten wir genau, dass wir den Stoff, den er uns nicht beibrachte trotzdem können mussten. Oft hat uns unser Physiklehrer – der auch Mathe unterrichtet hat – vor der Schularbeit gerettet, indem er uns schwierige Beispiele noch einmal kurz erklärt hat.

Ich hätte also auch ohne Schulnoten stets gewusst, dass ich wichtige Bereiche der Mathematik im Unterricht nicht verstanden habe. Dank meines Vaters und meines Physiklehrers wusste ich auch, dass es nicht an meinem mangelndem Verständnis liegt. Ich wäre also auch hier ohne Schulnoten nicht glücklicher gewesen.

Ein Geschichtelehrer der das alte Ägypten und die alten Griechen liebte versus einen mit einem rot-blau unterstrichenen Buch

Geschichte wurde im ersten Jahr vom damaligen Direktor unterrichtet. Auch ihm eilte der Ruf voraus besonders streng zu sein.

Er liebte jedoch sein Fach und er verstand es die Geschichten des Altertums so ausführlich zu schildern, dass sie buchstäblich vor unseren Augen lebendig wurden. Er sah die geschichtlichen Ereignisse in ihrer Gesamtheit und lehrte uns in Ursache und Wirkung zu denken. Sämtliche Konflikte der alten Griechen untersuchten wir auf Ursache des Konfliktes und dem Anlass des Kriegsausbruches.

Im nächsten Jahr bekamen wir einen anderen Geschichtsprofessor. Er hatte in seinem Buch alle wichtigen Stellen rot und blau unterstrichen und liebte Jahreszahlen, Zusammenhänge und Ereignisketten waren ihm egal. Schnell begriffen wir, dass wir nur herausfinden mussten, welche Stellen in seinem Buch rot oder blau unterstrichen waren, um bei den Prüfungen zu bestehen.

Was meinst du bei wem wir mehr gelernt haben?

Mein Fazit

Ich traue mich hier für die gesamte ehemalige Klasse zu sprechen. Das was für uns einen Unterricht interessant machte war die Lehrkraft. Schulnoten abschaffen allein ist sicher keine Lösung.

Ob wir einen Gegenstand mochten und interessant fanden oder nicht hatte ganz andere Gründe:

  1. Wir hatten grundsätzliches Interesse an dem Gegenstand.
  2. Die lehrende Person verstand es, die Inhalte gut aufzubereiten und zu vermitteln.
  3. Die lehrende Person war selbst begeistert von ihrem Fach und verstand es, diese Begeisterung weiter zu tragen.
  4. Die Haltung des Lehrers oder der Lehrerin strahlte aus, dass sie die Lernenden mochte und respektierte.
  5. Die Lehrperson tat alles, um die Lernenden in ihrem Lernprozess zu unterstützen.

Daher glaube ich, dass eine Abschaffung der Noten viel zu kurz gegriffen ist, die Ursachen liegen viel tiefer. Wir haben kein Problem mit den Noten. Wir haben auch nicht unbedingt nur ein Schulproblem. Wir haben auch ein gesellschaftliches Problem!

Über die verschiedenen Ursachen, Studien und Statistiken werde ich in den nächsten Wochen noch mehr schreiben.

Was meinst du zu diesem Thema?
Schreib mir deine Meinung gerne in die Kommentare.

Ansonsten gilt wie immer: Bleib gelassen!
Deine

P.S.: Wenn du kurz mal sehen willst, was derzeitige Teenager über ihre Lieblingslehrer und ihre Eigenschaften sagen, dann schau dir dieses Video an.

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