Ich tauche meinen Kopf unter Wasser, atme durch den Mund aus und beobachte, wie die Luftblasen entlang meiner Wangen und Ohren nach oben steigen. Meine Arme ziehen durch. Ich gleite im Wasser. Und ich genieße es! Ich bin glücklich!

Für dich ist das vielleicht ganz normal. Ich jedoch musste 54 Jahre werden, um beim Brustschwimmen den Kopf ins Wasser zu tauchen.

Du bist nie zu alt, Neues zu lernen

Ich bin eine Wasserratte

Dabei bin ich mein Leben lang eine Wasserratte. Als Kleinkind war ich kaum aus dem Wasser zu bekommen und hatte auch keine Angst hinein zu springen.

Meine Eltern hatten einen Teich und es kursiert eine Geschichte, dass ich am Ufer dieses Teiches stand, als meine Eltern schwimmen waren. Plötzlich rief ich „Papa, fang mich auf!“, und hüpfte ins Wasser. Ein Beweis, dass ich meinen Eltern großes Vertrauen entgegenbrachte. Aber auch, dass Wasser für mich keinen Schrecken hatte.

Als Kind schwimmen gelernt

Altes ent-lernen und Neues lernen

Ich habe früh schwimmen gelernt. Allerdings so, wie es die meisten kleinen Kinder tun – mit dem Kopf über Wasser.

Mit dieser Technik konnte ich die 70 m von einer Teichseite zur anderen ohne Probleme überwinden. Im Alter von 9 Jahren schwamm ich sogar diese Distanz drei Mal, in einem großen gleichseitigen Dreieck, das bestimmten Fixpunkten am Ufer gebildet wurde. Der Steg vor dem Haus, eine große und sehr alte Eiche und der sogenannte Mönch. Ich war überzeugt: Ich kann schwimmen!

Bis 10 Jahre alt war! Dann kam der Bruch.

Schlechte Erfahrungen im Sportunterricht

In der ersten Turnstunde, die wir im Hallenbad verbrachten, musste ich vorschwimmen. Die Turnlehrerin sah mich und teilte mich den Nichtschwimmern zu. Ich verstand die Welt nicht mehr.

Fortan verbrachte ich meine nächsten Schwimmstunden im seichten Kinderbecken und sollte machen, was ich längst konnte: Schwimmbewegungen einüben. Ich war frustriert.

Zu Hause beklagte ich mich und mein Vater konnte es erst nicht glauben. Da ich so traurig war, suchte er die Lehrerin auf. Ab diesem Tag durfte ich bei den „guten“ Schwimmern dabei sein.

Demotivation

Allerdings schaffte es meine Lehrerin nie, mich dazu zu bringen, den Kopf unter Wasser zu tauchen. Sie hatte mir den Schwimmunterricht gründlich verdorben.

Das hat zwei Gründe:

  • Ich hasse Chlorwasser. So lange ich denken kann, bin ich immer in Teichen Flüssen oder im Meer geschwommen. Kommen meine Augen mit Chlorwasser in Berührung, schaue ich aus wie ein Angorakaninchen.
  • Ich habe kleine Ohren und einen etwas gekrümmten Gehörgang. Wenn Wasser in meine Ohren kommt, dann geht das tagelang nicht heraus. Ich kann es bei jeder Bewegung meines Kopfes hören. Als geräuschempfindliche Person, ist das für mich nervig.

Zusammen mit den geschilderten Ereignissen hatte ich keinerlei Motivation den Kopf beim Schwimmen ins Wasser zu tauchen. Auch Tauchen war für mich ein no-Go.

Besagte Lehrerin hat es übrigens auch vermasselt, dass ich den Kopfsprung erlernte. Bei einem meiner ersten Sprünge wollte sie mir helfen und schleuderte meine Beine nach oben. Dabei habe ich mir so das Kreuz verrissen, dass ich tagelange nicht richtig gehen konnte.

Keine böse Absicht

Das bemerkenswerte dabei ist: Diese Lehrerin mochte mich grundsätzlich. Sie war mir gegenüber nicht aufsässig. Sie hat mich nur nie verstanden. Sie hat sich nicht die Mühe gemacht, herauszufinden, warum ich so handle, wie ich handle.

Erlebnisse dieser Art haben mir jahrelang das Schwimmen verleidet.

Je älter ich wurde, desto klarer wurde für mich: Schwimmen mit dem Kopf über Wasser verstärkt Nackenprobleme. Aber ich konnte mich einfach nicht überwinden.

Neues lernen aus eigenem Antrieb

Bis heuer. Wo ich im Moment wohne gibt es in der Nähe ein 50 m Meerwasser-Becken.

Im Vorjahr war es wegen Covid nur beschränkt zugänglich. Aber heuer war für mich klar: Ich möchte etwas Neues lernen. Ich möchte korrekt Brustschwimmen lernen.

Meine Angst mich doof anzustellen war groß

Mein Lieblingsmensch hat es geschafft mir diese Bedenken zu nehmen. Er machte eine spaßhafte Angelegenheit draus.

Anfänglich musste ich unter Wasser eine imaginäre Kerze ausblasen und dabei zwischendurch auftauchen. Dabei stellte ich fest: Wenn ich richtig atme, dann kommt kein Wasser in mein Ohr. Die Luftblasen verhindern das.

Der Knoten war geplatzt. Meine nächste Aufgabe war es die Gleitphasen zu üben. Mit möglichst wenig Tempi sollte ich das Schwimmbecken durchqueren. Was soll ich sagen, ich liebe es, im Wasser zu gleiten.

Techniktraining und Ent-lernen

Jetzt arbeite ich an meiner Technik. Mal nutze ich ein Schwimmbrett und optimiere meine Beintechnik, mal ist meine Aufgabe die Beine nicht zu bewegen und nur mit den Armtempi vorwärts zu kommen.

Um etwas Neues zu lernen muss ich ent-lernen. Meine Schwimmbewegungen laufen nicht optimal ab. Das Ent-lernen ist anstrengend für meinen Kopf. Ich muss mich hochgradig konzentrieren. Nach so einer Schwimmeinheit bin ich nicht nur körperlich geschafft, ich bin auch geistig leer.

Erste Erfolgserlebnisse

Allerdings rann bei der gestrigen Übungseinheit Wasser in mein Ohr. Ich kann es immer noch hören.

Es ist aber nicht mehr so nervig. Warum? Weil ich parallel dazu auch ein Erfolgserlebnis habe.

Ich bin in einem korrekten Brustschwimmstil die ersten Längen durchgeschwommen.

Ich finde es einerseits weniger anstrengend als meine vorherige Technik. Der Nacken bleibt entspannt. Gleichzeitig komme ich viel schneller voran und komme daher eher aus der Puste. Es ist also anstrengender.

Warum ich dir diese Geschichte erzähle?

Es ist nie zu spät etwas zu erlernen

Komme ich mir komisch vor, wenn ich mit 54 Schwimmübungen mache? Definitiv.

Allerdings weiß ich, dass ich es prinzipiell kann und auch dass es eine Menge Menschen gibt, die nicht schwimmen können. Meine Großmutter väterlicherseits war 65 als sie begonnen hat Schwimmen zu lernen. Sie schwamm mit einem großen Schwimmreifen in unserem Teich. Nach ein paar Monaten brauchte sie diesen nicht mehr.

Wohlwollend sein reicht als Lehrer nicht

Lehrer sollen nicht nur wohlwollend sein. Sie müssen sich auch Mühe geben, Kinder zu verstehen. Wenn du die Motive verstehst, warum ein Kind etwas lernen oder eben nicht lernen will, dann hast du viel gewonnen. Genau dort kannst du ansetzen. Genau das machen wir auch in den Kinderkursen und darum sind sie so erfolgreich.

Intrinsische Motivation macht leidensfähig

Wasser im Ohr nervt mich immer noch. Aber ich will das lernen und daher ist es nur halb so schlimm.
Manche Widerstände werden im Vergleich zum Gewinn auf einmal winzig klein.

Verlier nie den Mut!

Du hast jederzeit die Chance, etwas, das du nicht kannst zu erlernen. Das ist unabhängig vom Alter. Du hast jeden Tag eine neue Chance.

Ent-lernen ist schwieriger als neu lernen

Wenn du etwas kannst und es optimieren willst, brauchst du mehr Energie, als wenn du es gleich ordentlich lernst. Denn du musst viel ent-lernen und neu lernen. Das beansprucht den Geist enorm.

Wenn also dein Kind etwas umständlich erlernt hat und eine verbesserte Methode erlernen soll, hab Geduld mit ihm. Hilf ihm, seinen eigenen Frust zu überwinden.

Erfolg stärkt das Selbstbewusstsein

Auch wenn ich kein Kind mehr bin, kann ich mich über jeden Erfolg freuen wie ein solches. Endlich ist es mir auch möglich meine eigenen Erfolge zu würdigen und stolz darauf zu sein. Das stärkt das Selbstbewusstsein. Wenn dein Kind also einen Erfolg verbucht, dann freue dich mit ihm.

Lernen bleibt lebenslang spannend

Ich hätte nie gedacht, dass ich es je wieder so genießen würde im Wasser zu sein. Für diese Erfahrung bin ich unendlich dankbar.

Bleib gesund und gelassen!

Deine Mütterversteherin

>