Dezember 18, 2021

Zum Jahresanfang ist es wieder soweit und die Schuleinschreibung beginnt. In den meisten Bundesländern Österreichs sind die Termine im Jänner. Wenn dein Kind auch ab Herbst 2022 in die Schule kommt, machst du dir vielleicht Gedanken, ob dein Kind gut auf die Schule vorbereitet ist.

  • Was soll ein Kind beim Schulstart können?
  • Welche Fähigkeiten sollte es beherrschen?

Viele Kinder können ja bereits beim Schulstart alle Buchstaben, oder sie rechnen bereits bis zehn. Andere zählen bis 100. Aber ist das alles, was dein Kind braucht, um in der Schule gut zurecht zu kommen?

Schulreife aus Lehrersicht

Grundsätzlich gilt: Kinder werden dort abgeholt, wo sie stehen.

Dieser Artikel betrachtet das Thema Schulreife aus Sicht der Lehrer und Lehrerinnen. Er gibt dir allerdings einen guten Überblick, welche Fähigkeiten wünschenswert sind. Denn für eine Lehrkraft, die 25 Schülerinnen und Schüler unterrichten muss, wird es viel schwieriger zu unterrichten, wenn der Entwicklungsstand der Kinder sehr unterschiedlich ist.

Schulreife aus Lehrersicht, Fachgespräch mit Volksschullehrer Andreas Keuschnig

Fachgespräch mit Volksschullehrer Andreas Keuschnig

Bereits im Jahr 2016 habe ich mit dem Volksschullehrer Andreas Keuschnig über die Themen Einschulung und Schulreife geplaudert. Das Interview kannst du dir hier anhören.

Hier findest du eine Übersicht, bei welcher Zeitmarke du das Thema finden kannst:

  • 01:45 Schulreife – Was ist das?
  • 04:14 grobmotorische Anforderungen
  • 05:55 Beweglichkeit und Konzentration
  • 06:35 Warum Computerspiele Bewegung nicht ersetzen können
  • 07:00 Feinmotorik
  • 08:30 Das Schneiden mit der Schere
  • 10:10 Schreiben und Stifthaltung
  • 11:08 Graphomotorik
  • 12:09 Körperwahrnehmung
  • 13:06 Selbstausdruck
  • 14:42 Aufmerksamkeitsspanne
  • 15:15 Das schwierigste Spiel der Welt
  • 23:20 Entwicklung der Merkfähigkeit
  • 25:05 Verantwortung übernehmen
  • 26:52 Für die eigenen Bedürfnisse einstehen
  • 28:30 Erlebnisse des Schulalltags
  • 29:05 Kinder wollen lernen
  • 29:45 Stärken der Selbstkompetenz
  • 31:00 Druck macht instabil
  • 32:50 Warum Eltern ihren Kindern mehr zutrauen sollten
  • 36:43 Gemeinsam Lösungen suchen

Wenn du lieber liest als hörst

Schulreife aus Lehrersicht unterscheidet sich vielleicht etwas, von dem was du als Mama oder Papa erwartest. Hier kannst du dir einen Überblick verschaffen, was dein Kind können sollte. Hier findest du einen Überblick von den öffentlichen Stellen.

Muskuläre Entwicklung und Motorik

Einbeinig stehen

Das Stehen auf einem Bein testet die Balance des Kindes ab. Außerdem kann man erkennen, wie das Kind sich selbst in Bezug auf den Raum wahrnimmt. Das heißt, ob es minimale Ausgleichsbewegungen machen kann. Ob es gerade steht, oder ob es ständig herumwackelt.
Für das Herumwackeln könnte ein schlechtes Gleichgewichtsgefühl der Grund sein. Die Ursache könnte aber auch an einer zu geringen Körperspannung liegen. Die Körperspannung wiederum hilft dem Kind dabei wirklich ruhig sitzen zu können.

Überschlagendes Treppen steigen

Überschlagend Treppensteigen bedeutet, dass dein Kind nicht immer mit einem Fuß auf die nächste Stufe steigt und den anderen nachsetzt, sondern dass der Wechsel von einer Stufe auf die andere im Schritt erfolgt. Das kannst du zu Hause spielerisch üben, indem du Gegenstände auf Treppen legst und das Kind diese Gegenstände holen lässt. Im Normalfall entwickelt sich das überschlagende Treppen steigen mit der Übung von selbst.

Beidbeinig hüpfen

Dein Kind hüpft wie ein Gummiball? Prima, denn dann kann es sicher beidbeinig hüpfen. Zum einbeinigen Hüpfen ist es dann nicht mehr weit.
Viele alte Spiele wie Tempelhüpfen trainieren diese Fähigkeiten.

Ball spielen

Einen Ball fangen und beidhändig werfen ist ebenfalls eine gute Übung für dein Kind. Für diese Übung braucht dein Kind Reaktionsvermögen, Hand-Hand und Hand-Auge-Koordination und natürlich eine gewisse Kontrolle seiner Muskulatur.

Beim Spiel mit dem Ball muss dein Kind auch die Geschwindigkeit miteinbeziehen.

Möglichkeiten diese Fähigkeiten zu üben

  • Sportvereine (Kinderturnen, Fußball)
  • Tanzkurse
  • Selbstverteidigungskurse wie Judo, Karate oder Jiu-Jitsu

Feinmotorik

Dein Kind sollte bereits zum Schulanfang einen Bleistift halten können und mit einer Schere umgehen können. Leider fehlt vielen Kindern die Übung. Einen Stift oder eine Schere zu halten erfordert nicht nur das Wissen, wie die richtige Haltung ist. Es erfordert auch Kraft. Die Muskulatur der Finger, entwickelt sich wie jede andere Muskulatur nur durch Übung.

Oft tun sich Kinder deshalb schwer beim Schreiben, weil ihnen die Fingerkraft oder die Beweglichkeit des Handgelenks fehlt. Auch Kinder, die zu fest aufdrücken haben ein Kraftproblem. Sie können ihre Kraft nicht richtig dosieren und verkrampfen sich.

Masche binden

Viele Kinder haben heute auf den Schuhen Klettverschlüsse. Das ist sowohl für Kinder als auch für Lehrer und Lehrerinnen angenehm. Aber leider geht dadurch die Notwendigkeit verloren, dass die Kinder das Masche-binden lernen. Das ist deshalb schade, weil in dieser Tätigkeit sehr viel an zwei- und dreidimensionalem Denken, an Vorstellungsvermögen und an Koordination versteckt ist. All diese Fähigkeiten übt dein Kind beim Masche-binden automatisch mit.

Schneiden mit der Schere

Auch das Schneiden mit der Schere will geübt sein. Dein Kind braucht nicht nur eine geschickte Hand. Es muss auch voraussehen können, auf welcher „Spur“ sich die Schere schlließen und somit schneiden will. Möchte es auf einer Linie schneiden, so braucht es eine gute Hand-Auge-Koordination. Eine Übersicht, was dein Kind beim Basteln lernst, findest du hier.

Wertvollen Input zum Thema Motorik und Schulreife aus Ergotherapeutensicht findest du auch in diesem Artikel.

Dreidimensionales und zweidimensionales Denken

Dein Kind braucht das dreidimensionale Denken, um das was es gesehen hat in die Zweidimensionalität überführen zu können. Jedes Kind startet erst einmal mit der Erfahrung im Raum. Erst kommt der Ball … und erst viel später kommt der Kreis. Erst mit diesem Schritt kann dein Kind einen Kreis auf einer Zeichnung als Ball erkennen.

Kinder die sehr früh und sehr viel mit Bildschirmspielen (am Handy, Tablet oder PC) konfrontiert sind, haben manchmal mit der Dreidimensionalität Schwierigkeiten. Kinder entwickeln das Raumgefühl durch Berühren und Angreifen.

Impulskontrolle

Dein Kind sollte auch in der Lage sein, sich selbst zu kontrollieren.

  • aufzeigen und nicht rausrufen
  • fragen bevor es aufsteht
  • mit Frust umgehen ohne gleich wütend zu werden

Gerade der Frust ist oft zu vermeiden, wenn dein Kind einfache Fähigkeiten wie Stifthaltung und schneiden mit der Schere beherrscht. Denn oft wissen Kinder ja genau, was sie tun sollen. Es funktioniert halt einfach nicht auf Anhieb. Das frustriert und steigert sich manchmal bis zur Wut.

Diese Wut macht es den Kindern oft unmöglich sitzen zu bleiben oder still zu sein.

Farben und Formen

Dein Kind sollte die Farben und Formen erkennen und benennen können. Die Farben sind auch wichtig, weil es vielleicht aufgefordert wird, ein Heft mit einem Umschlag einer bestimmten Farbe aus der Tasche zu holen oder mit einer bestimmten Buntstiftfarbe die Überschrift zu schreiben. Wenn dein Kind dann lange nachdenken muss, bis es die Farbe gefunden hat, dann überhört es vielleicht schon die nächste Anweisung.

Aufmerksamkeit

Aus Lehrersicht ist das Thema Aufmerksamkeit sehr wichtig. Denn dein Kind sollte folgen können, was der Lehrer oder die Lehrerin sagt und es im besten Fall auch umsetzen.

Aufmerksamkeit braucht dein Kind aber auch, wenn es Geschichten hört.

Geschichten sind auch eine hervorragende Möglichkeit Aufmerksamkeit zu üben. Erzähle deinem Kind eine Geschichte oder lies ihm etwas vor. Danach soll dein Kind erzählen, was es sich von dieser Geschichte gemerkt hat.

Sprachfähigkeit und Selbstausdruck

Dein Kind sollte auch in der Lage sein, wahrzunehmen was es braucht und das auch mitzuteilen. Denn ein Lehrer oder eine Lehrerin kann nicht ununterbrochen die Aufmerksamkeit bei jedem einzelnen Kind haben. Dein Kind muss also in der Lage sein, für sich selbst zu sprechen.

Es geht dabei nicht um tiefe Gefühlsdiagnosen. Aber dein Kind sollte mitteilen können wann ihm zu warm oder zu kalt ist. Oder ob es traurig oder verärgert ist. Denn nur wenn dein Kind mitteilen kann, was ihm fehlt, kann eine Pädagogin auch darauf eingehen.

Wenn dein Kind nicht mitteilen kann, was es braucht, dann wird es möglicherweise bockig reagieren, weil es sich unverstanden fühlt. Erst dann wird die Lehrkraft wahrscheinlich aufmerksam und beginnt nachzufragen. Manche Kinder brauchen ganz lange, dass sie auch bei Nachfrage auf den Kern des Problems zu sprechen kommen. Das macht es sowohl für das Kind als auch für den Lehrer nicht einfach.

Lehrer und Lehrerinnen verlangen nichts Unmenschliches

Lehrer und Lehrerinnen wissen sehr wohl, dass 6-jährige noch sehr kindlich sein können. Daher erwarten sie auch keine unmenschlichen Leistungen. Anfänglich ist 10 Minuten still sitzen schon genug. Erfahrende Lehrer planen danach kleine Pausen oder Bewegungseinheiten ein.

Still sitzen üben

Auch du kannst zu Hause mit deinem Kind still sitzen üben. Am besten machst du das spielerisch.

Anfänglich kannst du dein Kind ersuchen die Augen zu schließen und auf die Umgebungsgeräusche zu achten. Für eine Minute. Danach besprecht ihr gemeinsam, was dein Kind in dieser Zeit wahrgenommen und gehört hat.

Damit übt ihr einerseits die Stille und andererseits die Beobachtungsgabe. Dieses Spiel macht Kindern viel Spaß. In der Musikalischen Reise ins Zahlenland spielen wir es täglich mit den Kindern. Tag für Tag steigern wir die Zeit der Stille ein wenig. Die Steigerung hängt ganz vor der Gruppe ab. Es gibt Gruppen, die am 5. Tag bereits 10 Minuten mucksmäuschenstill sitzen.

Wichtig ist, dass du Perioden der Stille immer mit Perioden der Bewegung abwechselst.

Konzentrationsfähigkeit

Das oben genannte Spiel schult auch die Konzentrationsfähigkeit.
Konzentrationsfähigkeit kann man in drei Teilbereiche aufspalten:

  • Die Fähigkeit sich auf eine Sache zu konzentrieren.
  • Die Fähigkeit Nebengeräusche und Störungen ausblenden zu können.
  • Die Fähigkeit auch bei tiefer Konzentration auf eine Sache wichtige Dinge im Auge/Ohr zu behalten.

Konzentration ist also auch eine Filteraufgabe. Dein Kind muss beim Schreiben die Stimme seines Lehrers oder seiner Lehrerin wahrnehmen, die die nächste Arbeitsanweisung gibt. Gleichzeitig soll es die leisen Gespräche der Mitschüler und Mitschülerinnen und die Geräusche der fallenden Bleistifte ausblenden können. Das ist eine komplexe Angelegenheit und braucht Übung.

Thema Hausübungen

Viele Pädagoginnen und Pädagogen wollen gar nicht, dass Eltern die Hausübungen ihrer Kinder ausbessern. Denn dann sehen sie nicht, was die Kinder können. Sie können also auf die Fehler auch nicht im Unterricht eingehen und das ist schade. Kinder brauchen gerade am Anfang die Möglichkeit eigene Fehler machen zu dürfen und sich das Feedback zu diesen Fehlern zu holen. In den ersten Wochen werden die Lehrer und Lehrerinnen mit den Fehlern auch noch sehr nachsichtig umgehen. Denn sie wissen: Die Kinder brauchen Zeit, um sich einzugewöhnen.

Du siehst, dein Kind kann sicher schon sehr viel. Du kannst auch zu Hause einiges tun, um ihm den Eintritt in die Schule zu erleichtern.

Bleib gesund und gelassen!

Deine Mütterversteherin

Dieser Artikel wurde im September 2016 als reiner Podcast veröffentlicht und im Dezember 2021 überarbeitet .

Mehr zum Thema Schule und Ferienkurse findest du auf dieser Übersichtsseite (klicke hier).

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